Egal, ob es sich um ein Gedicht, ein Theaterstück oder eine Erzählung handelt: für eine gründliche Textanalyse wirst Du auch die Figuren und ihre Eigenschaften beschreiben (= charakterisieren) müssen, die im Text vorkommen. Dafür schaust Du Dir sowohl die einzelnen Figuren als auch die Beziehungen der Figuren an.
Info 1: Eine Figur untersuchen
Wenn Du eine Figur analysieren willst, solltest Du besonders auf folgende Dinge achten:
Aussehen Wie sieht die Figur aus? Welche Kleidung trägt sie? Welche Gestik und Mimik hat die Figur und was sagen diese Dinge aus?
Hinweis:
Mit „Gestik“ sind die Hand- und Armbewegungen der Figur gemeint, mit „Mimik“ der Gesichtsausdruck der Figur.
Lebensumstände Wie ist die Lebenssituation der Figur? Ist sie arm/reich/bürgerlich? Was macht sie von Beruf?
Eigenschaften Welche Charaktereigenschaften hat die Figur? Ist sie hinterhältig? Clever? Naiv? Impulsiv? Woran bzw. in welcher Situation sieht man das?
Sprache Wie spricht die Figur? Ist sie vielleicht übertrieben höflich? Hat sie einen ausgeprägten Humor? Zeigt sich in ihrer Sprache ihr gesellschaftlicher Stand?
Verhalten Wie verhält sich die Figur? Wie verhält sie sich, wenn sie allein ist, und wie in Gesellschaft? Wie behandelt sie andere? Wie reagiert sie auf Konflikte etc.?
Inneres Empfinden und Einstellung Welche Ansichten/Gefühle/Gedanken hat die Figur? Vertritt sie bestimmte Werte und Vorstellungen? Was für Interessen und Absichten verfolgt sie?
Beziehungen zu anderen Figuren Welches Verhältnis hat die Figur zu anderen Figuren? Vertreten die Figuren gleiche Ansichten? Wie gehen sie miteinander um? Ist es eine starke/schwache Beziehung?
Beispiel – Figurencharakterisierung:
Die Figur Miss Sara in „Miss Sara Sampson“ von G. E. Lessing stammt aus bürgerlichen Verhältnissen. Sie wird als tugendhafte Tochter vorgestellt, die zwar mit ihrem geliebten Mellefont durchbrennt, allerdings nur unter dem Versprechen einer Heirat. Sie ist exzentrisch und plagt sich mit Schuldgefühlen. Ihre Sprache ist höflich und im Gespräch mit der Figur Marwood wird sie sogar etwas überheblich. Sie verhält sich tugendhaft und sieht daher ihren eigenen Tod als Gnade an, da sie ihre eigene Fehlbarkeit annimmt.
Zusatzinfo 1: Charaktere vs. Typen
Bei der Figurencharakterisierung kann es nützlich sein zu wissen, ob es sich bei einer Figur um einen Charakter oder einen Typus handelt. Diese unterscheiden sich wie folgt:
CHARAKTERE
Charaktere sind komplexe Figuren mit individuellen Eigenschaften, die vielleicht nur sie haben. Man erfährt viel über sie und ihr Schicksal, auch über ihr Innenleben, und sie durchlaufen im Text eine Entwicklung. Ein Charakter könnte im Verlauf des Texts z.B. genügsamer werden.
TYPEN
Typen sind Figuren mit überzeichneten Merkmalen. Sie haben oft ausgeprägte Laster und Schwächen (z.B. Eingebildetheit, Geiz), die der Komik dienen. Meistens sind sie namenlose Nebenfiguren und werden nur „dritter Bauer“ oder „die Ärztin“ genannt.
Info 2: Figurenkonstellation
Die Beziehungen von Figuren nennt man auch „Figurenkonstellation“. Diese umfasst sowohl das soziale oder familiäre Verhältnis wie auch das psychische (z.B. Wer liebt wen?). Die Figurenkonstellation kann sich im Verlauf des Textes ändern und ist ein wichtiger Bestandteil der Analyse.
FRAGEN
Folgende Fragen können bei der Erschließung der Figurenkonstellation helfen:
Wer sind die Hauptfiguren (= Protagonisten) und wer sind ihre Gegenspieler (= Antagonisten)? Wodurch zeichnen sie sich aus?
Welche Hierarchien gibt es zwischen den Figuren? Bilden die Figuren im weiteren Sinn Gruppen (z.B. die armen vs. die reichen Leute)? Verändern sich die Machtverhältnisse im Verlauf der Geschichte?
Entwickeln sich die Beziehungen im Verlauf der Handlung weiter oder bleiben sie immer genau gleich? Was sind die Höhe- und Tiefpunkte?
Welche Erlebnisse/Konflikte beeinflussen die Figurenbeziehung? Wird sie positiv oder negativ beeinflusst?
Wie unterscheidet sich die Figurenbeziehung am Ende der Geschichte zum Ausgangspunkt am Beginn?
GRAFISCHE DARSTELLUNGEN
Vielleicht hilft es Dir, Figurenkonstellationen grafisch darzustellen. Für Familien eignen sich Stammbäume, wenn noch mehr Figuren dazukommen, kannst Du einfach die Namen aufschreiben und sie mit Linien verbinden. Diese kannst Du mit Beschreibungen oder Symbolen (Herzen oder Blitze) versehen.
Beispiel – Miss Sara Sampson:
Hinweis:
Auch bei Gedichten kann man Figurenbeziehungen analysieren. Es gibt eine Vielzahl von sprachlichen Mitteln, die auf mögliche Personen (Subjekte und Adressat*innen) im Gedicht verweisen: Pronomina, Imperative, Wunsch- und Fragesätze.
Zusatzinfo 2: Direkte und Indirekte Charakterisierung
Bei der Untersuchung einer Figur in einem Text wirst Du sowohl auf direkte wie auch auf indirekte Charakterisierungen stoßen:
Direkte Charakterisierungen treten auf, wenn sich die zu analysierende Figur über sich selbst äußert oder wenn andere Figuren ihr Verhalten und ihre Eigenschaften direkt kommentieren.
Beispiel:
Heinrich sagt: „Das Gretchen ist so ein unschuldiges Mädchen.“
Indirekte Charakterisierungen lassen sich durch das Verhalten, das Aussehen und die Gefühle einer Figur ableiten. In Theaterstücken treten indirekte Charakterisierungen oft auch in den Regieanweisungen auf.
Beispiel:
Gretchen kommt von der Kirche, bei der sie für nichts zur Beichte gegangen ist.
Wichtig:
Alle Aussagen, die Du über eine Figur oder Figurenbeziehungen machst, müssen nachvollziehbar sein. Benutze also Zitate, Begründungen und Erläuterungen (mit Seitenangaben), um Deine Charakterisierung einer Figur zu stützen.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was unterscheidet direkte von indirekter Charakterisierung?
Wenn Du eine Figur charakterisieren möchtest, merkst Du, dass einige Infos über die Figur von ihr selbst oder von anderen Figuren stammen. Das ist die direkte Charakterisierung. Indirekte Charakterisierungen lassen sich ableiten, z.B. aus dem Verhalten der Figur, aus dem Aussehen oder aus den Gefühlen einer Figur.
Was ist eine Figurenkonstellation?
Die Figurenkonstellation in einem Text ist das besondere Beziehungsgeflecht der Charaktere, das Verwandtschaftsverhältnisse, Liebesbeziehungen oder Verfeindungen enthalten kann.
Was ist der Unterschied zwischen „Charakteren“ und „Typen“?
Charaktere sind komplexe Figuren mit individuellen Eigenschaften, während Typen Figuren mit überzeichneten Eigenschaften („Stereotypen“) sind.
Welche Eigenschaften sollten in einer Figurencharakterisierung untersucht werden?
Einerseits solltest Du ihre Merkmale untersuchen: das Aussehen der Figur, ihre Lebensumstände, Eigenschaften, Sprache, ihr Verhalten, inneres Empfinden und ihre Einstellung. Andererseits solltest Du ihre Beziehungen zu den anderen Figuren analysieren.