Video- und Onlinegames sind aus den Leben von Schweizer Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Ganze 70 Prozent zocken in ihrer Freizeit „Fortnite“, „FIFA“, „Grand Theft Auto (GTA)“, „Minecraft“ und Co. (vgl.
JAMES 2018). Die meisten „digital natives“ gehen aber noch zur Schule und müssen dort gute Leistungen erbringen. Viele Eltern sind besorgt, dass Gaming und Lernen unvereinbar sind. Ist ihre Sorge begründet? Welchen Einfluss hat Gaming auf den Schulalltag und das Lernverhalten von Jugendlichen?
Vorteile von Gaming
- Wohlbefinden und Stressreduktion
Wer selbst schon gezockt hat, weiss, dass Video- und Onlinegames eine Menge Unterhaltung bieten. Je nach Art des Spiels kann man in eine andere Identität schlüpfen und sich in fantastischen Welten bewegen. Ehrgeiz und gutes Spielen werden mit einem Erfolgsgefühl und manchmal auch mit der Anerkennung von anderen belohnt. Hinzu kommt nämlich, dass man die meisten Onlinegames nicht allein, sondern in einer „Community“ spielt. Mit all diesen Aspekten kann das Gaming, genau wie alle anderen Unterhaltungsmedien, das persönliche Wohlbefinden verbessern.
Darüber hinaus kann es eine sehr entspannende Wirkung haben und Stress sowie Schmerzen reduzieren (vgl. Bourgonjon et al. 2015). Das Stichwort hierzu lautet „Mood-Management“. Das heisst, Zocken kann dabei helfen, Stimmungen und Emotionen zu regulieren. Der Schulalltag wird von Jugendlichen manchmal als sehr stressig wahrgenommen. Übermäßiger Stress kann für Lernprozesse hinderlich sein, wenn er zum Beispiel die schulische Motivation und Leistung blockiert oder sogar Prüfungsangst hervorruft. Deswegen ist eine wirksame Stressreduktion gerade für Jugendliche sehr wichtig.
- Gaming macht schlau
Dies ist ein Argument, welches Gamerinnen und Gamer gerne zur Rechtfertigung von übermäßigem Spiele-Konsum vorbringen: Gaming mache schlau. Tatsächlich können in den meisten Spielen – aber nicht allen – gewisse Fähigkeiten erworben werden. Je nach Spiel werden logisches Denken und/oder spezifisches Wissen geschult. Einige Spieler*innen von englischsprachigen Games berichten zum Beispiel von beachtlichen Fortschritten in ihrem Englisch-Wortschatz.
Sogenannte „action games“ sollen besonders prägend sein (vgl. Vahlensieck 2018). Indem man sie regelmäßig spielt, kann man eine Vielzahl von Fähigkeiten erwerben (z. B. eine kürzere Reaktionszeit). Das Lernen von schulischen Inhalten unterstützen sie wie folgt: Zum einen kann das Gaming von Action-Spielen die Informationsverarbeitung dauerhaft beschleunigen. Zum anderen hilft es manchmal, bessere Entscheidungen zu treffen und Probleme einfacher zu lösen (vgl. Vahlensieck 2018). Diese Fähigkeiten können sowohl im Unterricht als auch in Prüfungssituationen dienlich sein.
Nachteile von Gaming
- Zocken braucht Zeit
Gaming kann Schulstress reduzieren und Fähigkeiten hervorbringen, die für die Schule von Vorteil sind. Wer Video- und Onlinegames spielt, kann seinem Lernverhalten aber auch schaden. Gaming birgt viele Gefahren. Für das Lernen stellt es besonders insofern ein Risiko dar, als es sehr zeitintensiv sein kann. Schweizer Jugendliche gamen ganz schön viel. Der Selbsteinschätzung zufolge sind es unter der Woche im Schnitt 60 Minuten pro Tag, am Wochenende 120 Minuten pro Tag (vgl. JAMES 2018). Gewisse Experten vermuten jedoch eine weit höhere Zahl.
Das Prinzip ist einfach: Wer täglich stundenlang spielt, hat weniger Zeit für Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitungen. Gerät das Gaming außer Kontrolle und wird zum einzigen Interesse eines Jugendlichen, nehmen häufig seine schulischen Leistungen ab. Es kann vorkommen, dass seine Schulnoten leiden und er auf ein tieferes Niveau abgestuft werden muss.
- Verminderte Schlafqualität
Zum Zeitfaktor kommt der schädliche Einfluss auf die Schlafqualität hinzu. Begeisterte Gamerinnen und Gamer zocken häufig bis spät am Abend oder sogar bis in die Nacht. In der Schule sind sie dann übermüdet und haben Schwierigkeiten damit, Inhalte aufzunehmen. Die Schlafqualität wird aber nicht nur von spätem Zubettgehen in Mitleidenschaft gezogen. Selbst wenn Jugendliche einen guten Schlafrhythmus haben, finden sie im Schlaf manchmal keine Erholung.
Beispielsweise kann die Schlafqualität auch vom blauen Bildschirmlicht beeinträchtigt werden, wenn man sich diesem kurz vor Schlafenszeit aussetzt. Zudem können Videospiele eine körperliche Aktivierung in Form einer Erregung verursachen. Die englische Bezeichnung dieses Phänomens lautet „Arousal“. Die kardiovaskuläre Aktivität nimmt zu, sodass das Herz höher schlägt. Dabei verflacht die Atmung und das Stresshormon Cortisol wird übermäßig ausgeschüttet. Das blaue Licht und die Aktivierung führen am Ende zu Übermüdung, welche Jugendliche vom Lernen abhalten kann.
- Gelerntes geht vergessen
Ein letzter Punkt: Nach der Schule machen Jugendliche Hausaufgaben und lernen für Prüfungen. Dabei sind verschiedene kognitive Lernprozesse im Spiel, die Energie und Zeit brauchen. Im besten Fall geht Gelerntes vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis über und wird dadurch nachhaltig gefestigt. Neurologen sprechen diesbezüglich von der „Konsolidierung von Wissen“.
Lernprozesse sind sehr anfällig für Störungen. Nun ist es so, dass das Spielen von Video- und Onlinegames eine solche Störung darstellen kann: Experten vermuten einen negativen Einfluss von Video- und Onlinegames auf die Konsolidierung von Wissen. Sie vertreten die Ansicht, dass Lernprozesse verlangsamt oder sogar rückgängig gemacht werden, wenn zu einem ungünstigen Zeitpunkt gezockt wird.
Zusammenfassung
Zurück zur eingangs gestellten Frage, welchen Einfluss das Gaming auf den Schulalltag und das Lernverhalten von Jugendlichen haben kann. Grundsätzlich bestehen Argumente sowohl für als auch wider das Gaming im Schulalltag. Einerseits kann es Unterhaltung bieten und Schulstress reduzieren. Außerdem kann Gaming je nach Videospiel Fähigkeiten hervorbringen, die im weiteren Sinn schlau machen. Andererseits ist es ein Zeitfresser und kann die Schlafqualität inklusive Aufnahmefähigkeit von Jugendlichen mindern. Videogames zu einem ungünstigen Zeitpunkt zu spielen, kann zudem schulische Lernprozesse stören.
Aber welcher Umgang mit Video- und Onlinegames ist vor diesen komplexen Hintergründen zu empfehlen? Hinzu kommt, dass die Auswirkungen von Games je nach Spieler*in unterschiedlich sind. Wir haben den Kinderarzt Dr. med. Charles Etterlin gefragt, was er Eltern und Jugendlichen diesbezüglich rät.
Ärztliche Empfehlungen zum Umgang mit Videospielen im Schulalltag
Für Dr. med. Etterlin überwiegen die Risiken von Video- und Onlinespielen: „Für mich ist es nicht primär die Frage, was das Kind vom Gaming profitiert. Wird es kognitiv besser und schneller, ist sein Denken vernetzter?“ Deswegen rät er Eltern, den Spielekonsum ihrer Kinder zu begleiten: „Eltern können und sollten das Gaming nicht grundsätzlich verbieten. Wie ihre Kinder mit dem Medium umgehen, sollten sie aber streng kontrollieren“. Am wichtigsten scheint dem Kinderarzt der Zeitfaktor: „Die Zeit, die ein Kind für Videospiele verwendet, darf nicht zu viele Tätigkeiten verdrängen, die wichtig für eine gesunde Entwicklung sind: Schule, Sport, Kunst und Musik und soziale Kontakte“. Gamende Jugendliche brauchen Zeitlimits.
Eine weitere Maßnahme, die Herr Etterlin empfiehlt, ist die Wahl des richtigen Zeitpunkts für das Gaming. Er rät, wenn, dann direkt nach der Schule zu spielen. Jugendliche können so von der Schule „herunterfahren“ und sich ein wenig entspannen. Im Anschluss daran sind die Hausaufgaben zu lösen. Der Kinderarzt sagt: „Ich würde das Gaming aber nicht als Pause zwischen Lerneinheiten einsetzen oder danach als Belohnung. Wenn man dies macht, läuft man Gefahr, vieles wieder auszulöschen, was man gelernt hat“.
Literatur