Textinterpretation: Vorgehen
Das Wichtigste in Kürze
Auf höheren Schulstufen wird erwartet, dass Du (literarische) Texte analysieren und interpretieren kannst. Egal, ob erzählerische, lyrische oder dramatische Texte: Der erste Schritt sollte sein, dass Du den Text richtig verstehst. Dann kommen die Recherche, Analyse und Interpretation: Du denkst gründlich über den Text nach und versuchst, Auffälligkeiten zu deuten – genau so, wie Du es im Deutschunterricht bestimmt schon oft gemacht hast.
In dieser Zusammenfassung werden Dir die wichtigsten Punkte zur Textinterpretation erklärt. Vorneweg: Der Begriff „Interpretation“ kann zwei Bedeutungen haben. Einerseits kann er die ganze Arbeit an einem Text bezeichnen – vom Recherchieren, Analysieren bis zum Deuten. Andererseits kann „Interpretieren“ das „Auslegen“ am Schluss einer Text-Untersuchung bedeuten. Die erste Bedeutung ist weiter, die zweite enger.
Info 1: Den Text lesen und analysieren
Beim Lesen und Analysieren eines Textes ist es ratsam, auf das Inhaltliche sowie auf die Sprache und Struktur zu achten. Dies hilft Dir, den Text besser zu verstehen. Ausserdem hast Du damit schon einen grossen Teil der Arbeit gemacht.
Tipp:
Nimm Dir viel Zeit für das Lesen und Analysieren. Blättere zurück, wenn Du etwas unlogisch findest. Mach Dir am besten viele Notizen (direkt im Buch oder auf Notizpapier). Damit Du den Überblick behältst, schreib Dir die Seitenzahlen auf, die Dir wichtig erscheinen.
Inhaltliches:
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Was ist die Handlung des Texts? Wie beginnt der Text und wie endet er?
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Welche sind die wichtigsten Themen?
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Wird auf ein anderes literarisches Werk angespielt?
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Wer sind die Hauptfiguren? Wodurch sind sie charakterisiert?
Sprache und Struktur:
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Ist die verwendete Sprache im Text poetisch? Oder eher sachlich?
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In welcher literarischen Gattung ist der Text geschrieben und woran sieht man das?
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Gibt es viele Mono- oder Dialoge? Gibt es viele Beschreibungen?
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Was weiss man über den Erzähler bzw. über das lyrische Ich?
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Gibt es viele Zeitsprünge oder Auslassungen?
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Sprechen alle Figuren gleich viel?
Info 2: Den Kontext recherchieren
Häufig ist es bei Textinterpretationen so, dass auch andere Aspekte wichtig sind, wie zum Beispiel die Autorin bzw. der Autor oder der geschichtliche Kontext. Die Informationen dazu findet man am schnellsten im Internet.
Biographie der Autorin bzw. des Autors:
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Wer ist die Autorin oder der Autor?
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Wo, wann und wie hat die Person gelebt?
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Worüber hat die Person normalerweise geschrieben? Welche Themen beschäftigten die Person?
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Welche Weltanschauung vertrat die Person?
Geschichtliches:
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Was ist im Zeitraum, in dem der Text veröffentlicht wurde, passiert?
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Durch welche politischen, ökonomischen und kulturellen Ereignisse war der Zeitraum gekennzeichnet?
Info 3: Interpretieren/Auslegen
Im Anschluss an die Analyse und Recherche (oder auch schon gleichzeitig), kannst Du mit etwas Kreativität und logischem Denken einige spannende Schlüsse ziehen. Es kann zum Beispiel sein, dass Auffälligkeiten in der Sprache/Struktur dem Inhalt eine zusätzliche Bedeutung geben. Oder es kann sein, dass der Inhalt des Textes etwas mit der Biographie des Autors oder der Autorin zu tun hat. Denke daran: Es gibt nicht nur eine richtige Art, einen Text zu interpretieren. Es gibt meist unzählige!
Interpretation:
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Was bedeuten gewisse Handlungen?
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Wieso wird die Szene XY auf diese Weise beschrieben?
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Was soll der literarische Text der Leserschaft mitteilen?
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Welche Absicht hat der Text? (Bsp. Unterhaltung, Belehrung, Handlungsaufforderung)
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Inwiefern steht das Mitgeteilte in Zusammenhang mit der Biographie des Autors oder der Autorin?
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Wie hängt die Handlung des Textes mit geschichtlichen Ereignissen zusammen?
Info 4: Einen Text diskutieren
In der Schule werden manchmal Textinterpretationen in Form eines Vortrags, eines Aufsatzes oder gar einer grösseren Arbeit verlangt. In diesen Fällen solltest Du alle obengenannten Aspekte einbeziehen – ausser, die Lehrperson sagt, Du sollest Dich auf einen Aspekt konzentrieren.
Inhaltliches:
Gefordert ist, das Wichtigste des Inhalts sowohl verständlich als auch präzise zusammen-zufassen. Erwähne die wichtigsten Figuren, Schlüsselmomente, wiederkehrenden Symbole etc. Du musst dabei klar trennen können, was im gelesenen Werk wirklich passiert und was Du interpretierst.
Sprache und Struktur:
Du solltest ein paar sprachliche Auffälligkeiten nennen können. Sag zum Beispiel ein paar Worte zur Gattung.
Biographisches:
Es wäre gut, wenn Du ein paar Aspekte zur Biographie des Autors oder der Autorin sagen würdest. Sag vor allem das, was sich mit dem Text verbinden lässt.
Beispiel
Als Hedwig Dohm den Roman „Sibilla Dalmar“ fertigstellte, war sie bereits verwitwet und ein aktives Mitglied der Frauenbewegung.
Geschichtliches:
Skizziere in ein paar Sätzen die politischen, ökonomischen oder kulturellen Vorgänge der Zeit, in der der Text geschrieben und veröffentlicht wurde.
Beispiel
„Nathan der Weise“ (Lessing) ist der Epoche der Aufklärung zuzuordnen. Im literarischen Bereich wie auch in der Naturwissenschaft, Wirtschaf und Politik breitete sich zu dieser Zeit ein ausgeprägtes Vernunft-Denken aus.
Interpretation:
Dies sollte der umfangreichste Teil Deiner Textinterpretation sein. Was ist besonders auffällig? Was schliesst Du aus Deiner Analyse und Recherche? Ziehe Verbindungen und Schlüsse. Manchmal ist es besser, sich auf einige Punkte zu beschränken. Dann kann man viel mehr in die Tiefe gehen und verzettelt sich nicht.
Tipp:
Es ist immer gut (und wird manchmal auch gefordert), Text-Beispiele zur Hand zu haben. Schliesslich sollte Deine Textinterpretation nachvollziehbar sein. Natürlich kannst Du auch eine persönliche Stellungnahme machen, aber das musst Du aber klar als eine solche deklarieren (Bsp. Meiner Meinung nach...)
Beispiel
Das Ende von Thomas Manns „Der Tod in Venedig“ ist lückenhaft: Die Ursache für Aschenbachs Tod wird nicht erzählt. Damit wird offengelassen, ob er aus Liebe zu Tadzio oder an der Cholera stirbt.
Dr. B. in Stefan Zweigs „Schachnovelle“ sitzt in Einzelhaft. Die Monotonie und Verzweiflung seines Gefängnis-Alltags widerspiegeln sich in der Sprache. Es gibt viele Wort-Wiederholungen, wie zum Beispiel auf Seite 58: „Man wartete, wartete, wartete, man dachte, man dachte, man dachte, bis einem die Schläfen schmerzten. Nichts geschah. Man blieb allein. Allein. Allein.“
Wenn Du diese Aspekte ansprichst, hast Du den Text sicher richtig diskutiert. Du wirst sehen, dass man bei Textinterpretationen eigentlich ziemlich viel Spielraum hat und dass sehr viel Spannendes dabei rauskommen kann. Viel Spass bei Deiner nächsten Textinterpretation!
Info 5: Mögliche Gliederung einer Buchbesprechung
EINLEITUNG
Die Einleitung gibt einerseits einige biographische, andererseits einige geschichtliche Hintergrundinformationen.
Beispiel:
Leo Tolstoj war ein russischer Autor, der insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etliche Werke vorlegte. Er beschäftigte sich primär mit den Veränderungen, die damals die Gesellschaft prägten: In politischer Hinsicht... Die damalige Kultur...
HAUPTTEIL
Im Hauptteil sollst Du den Text einerseits zusammenfassen, andererseits interpretieren: Im ersten Teil des Hauptteils kannst Du den Text zusammenfassen, also die Geschehnisse grob skizzieren und dabei auf die wichtigsten Figuren und Handlungen eingehen. Falls es von Bedeutung ist, solltest Du auch die Verhältnisse zwischen den wichtigsten Figuren erwähnen. Im zweiten Teil des Hauptteils interpretierst Du den Text.
Beispiele:
Teil Zusammenfassung:
In der Kurzgeschichte mit dem Titel „Die drei Söhne“ wird das Verhalten von drei Söhnen geschildert. Die Söhne und ihre Mütter gehen...
Übergang:
Die Geschichte endet damit, dass der Mann... Die Worte des Mannes legen sogleich die Intention des Textes nahe.
Interpretation:
Wahrscheinlich möchte Tolstoj mit diesem Text darauf hinweisen, dass die besten Fähigkeiten noch keinen guten Menschen ausmachen. Diese Annahme wird durch die Aussage des Mannes untermauert. Es zeigt sich, dass zwei der Söhne in charakterlicher Hinsicht erhebliche Mängel aufweisen, während der dritte Sohn aussergewöhnliche...
SCHLUSS
Der Schluss liefert eine zusammenfassende Abrundung. An dieser Stelle darfst Du (je nach Aufgabenstellung) Deine Meinung einbringen und etwa sagen, wie Dir der Text gefallen hat. Wie stehst Du zum Inhalt? Oder zur Meinung des Autors oder der Autorin? Welche Bedeutung hat die Intention des Textes in der heutigen Zeit?
Beispiel:
Ich kann voll und ganz hinter der Meinung des Autors stehen. Der Sohn, der sich für die Mutter einsetzt, hat meines Erachtens die Bezeichnung „echter Sohn“ verdient. Allerdings finde ich, dass in der heutigen Zeit...