Der Staat baut Strassen, betreibt Schulen, kümmert sich um die Altersvorsorge, das Gesundheitswesen und manches mehr. Bestimmt kennst Du das Sprichwort, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Damit sich der Staat nicht im Aufgabenwald verliert, verteilt er die Aufgaben in der Schweiz zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden.
Die Gemeinde Chancy (im südwestlichsten Zipfel des Kantons Genf) kann also selbst entscheiden, welche Freizeitparks sie für ihre Einwohnerinnen und Einwohner baut, und die Gemeinde St. Margrethen (im Nordosten St. Gallens) beschliesst selbst die Tagesstrukturen an ihren Schulen. Die Kommunen geniessen viel Autonomie, und das gleiche gilt für die Kantone.
So können sie auf die regional unterschiedlichen Anliegen der Bürgerinnen und Bürger eingehen. Mit gemeinsamen Regeln und Ausgleichszahlungen sorgt der Bund gleichzeitig dafür, dass sich Eigenständigkeit und Ausgleich in der Schweiz die Waage halten.
In dieser Zusammenfassung erfährst Du, wie sich föderalistische und zentralistische Länder unterscheiden. Und Du lernst, welche Vor- und Nachteile sich aus dem Föderalismus für dich als Bürgerin, als Bürger ergeben.
1: Was ist Föderalismus?
Warum ist Dein Kanton kein eigenes Land? Er kam zusammen mit anderen Kantonen zum Schluss, dass es einfacher ist, staatliche Aufgaben wie die Aussenpolitik, die Verteidigung und die Geldpolitik nicht alleine, sondern im Verbund zu erledigen.
Aus dieser Einsicht leitet sich der Begriff Föderalismus ab. In «Föderalismus» steckt das lateinische Wort «foedus», was so viel wie «Bund» oder «Bündnis» bedeutet. Deshalb spricht man bei einem «föderalistischen Staat» auch von einem «Bundesstaat». Die Schweiz ist somit ein Bund der Kantone.
Jeder von uns ist nicht nur Bewohner der Schweiz, sondern auch eines Kantons und einer Gemeinde. Im Alltag treffen wir auf ein Schienennetz, das der Bund bauen liess, Polizistinnen, die vom Kanton angestellt sind, und wir beziehen Strom, der dank der Gemeinde aus unserer Steckdose fliesst.
Föderalistische Länder sind das Gegenstück zu zentralistischen Ländern, wie beispielsweise Frankreich. In zentralistischen Ländern nimmt eine zentrale Regierung viele oder sogar alle staatlichen Aufgaben wahr.
2: Was macht den Föderalismus in der Schweiz besonders?
Der Schweizer Föderalismus ist ziemlich besonders. Dies deshalb, weil Kantone und Gemeinden besonders viel zu entscheiden und zu sagen haben.
Die Aufgaben werden «bottom up» – also von unten nach oben – und nicht «top down» – von oben nach unten – vergeben. Das heisst: was die Gemeinden alleine erledigen können, das erledigen sie auch selbst. Die Ortsplanung, Feuerwehr und viele Aufgaben im Bereich des Schul- und des Fürsorgewesen gehören in die kommunale Zuständigkeit.
Die Kantone wiederum übernehmen nur die Aufgaben, etwa im Gesundheitswesen und im Kulturbereich, für welche die Gemeinden zu klein sind. Gleich verhält es sich mit der Übernahme von Aufgaben Durch den Bund – er erledigt nur das, was die Kantone nicht können, zum Beispiel die Landesverteidigung. Man spricht bei diesem Prinzip der Aufgabenübernahme durch die kleinstmögliche Einheit vom sogenannten Subsidiaritätsprinzip.
Die Gemeinden und Kantone verfügen in der Schweiz über viel Selbstbestimmung (Autonomie). So erfüllen die Gemeinden ihre Aufgaben nicht einfach nach den Vorschriften der Kantone, sondern sie entscheiden selbst darüber, wie sie die Aufgaben erfüllen.
Zur Selbstbestimmung gehört, dass die Gemeinden und Kantone sich auch selbst um die Einnahmen – die Steuern und Gebühren – kümmern, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen.
3: Welche Nachteile bringt der Föderalismus mit sich?
In Zürich kannst Du wochentags bis 20 Uhr einkaufen gehen, in Luzern stehst Du nach 19 Uhr womöglich vor verschlossenen Ladentüren. In der Schweiz ist deshalb oft die Rede vom Kantönligeist und einem Flickenteppich.
Kritiker und Kritikerinnen wenden ein, dass viele Doppelspurigkeiten zwischen den Kantonen und Gemeinden bestünden, weil beispielsweise jeder Kanton ein eigenes Einwohneramt und ein eigenes Strassenverkehrsamt benötige.
Ein weiterer Kritikpunkt: Würden neue Regeln beschlossen, die über einen Kanton hinaus gelten, dann könne dies besonders lange dauern, weil die Vertreter von Bund, Kantonen und Gemeinden mitsprechen.
Föderalismus befördere das Trittbrettfahren: Ein Kanton profitiere von seinem Nachbarkanton, wenn dieser ein Opernhaus baue, das die Einwohnerinnen aller Kantone nutzen können.
Und zu guter Letzt: Eine Gemeinde komme womöglich in finanzielle Nöte, wenn die Nachbargemeinde ihr mit tiefen Steuern gute Steuerzahlende wegschnappe.
4: Welche Vorteile hat der Föderalismus – und was kann man gegen die Nachteile tun?
Durch die Verteilung der Aufgaben auf viele Gemeinden und Kantone können die Gemeinden und Kantone besser auf die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger vor Ort eingehen. Im Kanton Uri ist Italienisch ab der 5. Klasse ein Wahlpflichtfach. In Bern wird dafür mehr Gewicht auf Französisch gelegt. Es entsteht eine Vielfalt, die in den Bedürfnissen und Interessen der Bürgerinnen und Bürger verankert ist.
Im Föderalismus können Kantone und Gemeinden mit neuen Ideen experimentieren. Frühenglisch – ja oder nein? Und vor allem: die Kantone können von den Erfahrungen anderer Kantone profitieren – das heisst: lernen.
Die Politikerinnen und Politiker in den Gemeinden und Kantonen sind oft genauer darüber informiert, was die Bürgerinnen und Bürger vor Ort wünschen, als Politikerinnen und Politiker, die sich um das ganze Land kümmern.
Der Föderalismus führt zu Wettbewerb zwischen den Kantonen. Das führt dazu, dass die Politikerinnen und Politiker besser auf die Meinungen der Bürgerinnen und Bürger hören.
Wenn Kantone und Gemeinden selbst Steuern eintreiben, nehmen sie Rücksicht auf die Finanzbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger - wer keine Steuerzahlenden verlieren will, sorgt sich um vergleichsweise tiefe Steuern oder besonders gute staatliche Dienstleistungen.
Mit Ausgleichszahlungen von den finanzstarken zu den finanzschwachen Kantonen und indem der Bund Leitplanken festlegt, die für alle Kantone gelten, wird für eine Balance zwischen Eigenständigkeit und Ausgleich im Bundesstaat gesorgt.
Literatur
Vatter, A. (2020). Das politische System der Schweiz (4., vollständig aktualisierte Auflage). Studienkurs Politikwissenschaft. Nomos.
Mehr dazu
Übungen
Lerne in kleinen Schritten mit Theorieeinheiten und wende das Gelernte mit Übungssets an!
Dauer:
Teil 1
Wozu braucht es Kantone?
Erstelle ein kostenloses Konto, um mit den Übungen zu beginnen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist Föderalismus?
In «Föderalismus» steckt das lateinische Wort «foedus», was so viel wie «Bund» oder «Bündnis» bedeutet. Deshalb spricht man bei einem «föderalistischen Staat» auch von einem «Bundesstaat». Die Schweiz ist ein Bund der Kantone.
Warum ist der Föderalismus in der Schweiz besonders?
Der Schweizer Föderalismus ist besonders, weil die Gemeinden und Kantone über viel Selbstbestimmung (Autonomie) verfügen. Was sie alleine erledigen können, erledigen sie auch selbst. Zudem kümmern sich die Gemeinden bzw. Kantone selbst um die Einnahmen, dies sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen.
Welche Nachteile hat der Schweizer Föderalismus?
Kritiker und Kritikerinnen wenden ein, dass viele Doppelspurigkeiten zwischen den Kantonen und Gemeinden bestünden, weil bspw. jeder Kanton ein eigenes Einwohneramt und ein eigenes Strassenverkehrsamt benötige. Oft ist auch vom «Kantönligeist» und vom kantonalen Flickenteppich die Rede, bspw. unterschiedliche Ladenöffnungszeiten in den Kantonen.
Welche Vorteile hat der Schweizer Föderalismus?
Durch die Verteilung der Aufgaben auf viele Gemeinden und Kantone können die Gemeinden und Kantone besser auf die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger vor Ort eingehen. Im Föderalismus können Kantone und Gemeinden mit neuen Ideen experimentieren, andere Kantone können von den Erfahrungen profitieren und lernen. Zudem: Wenn Kantone und Gemeinden selbst Steuern eintreiben, nehmen sie Rücksicht auf die Finanzbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger.