Nachrichtenlose Vermögen von NS-Opfern: Vorwürfe und Wiedergutmachung
Das Wichtigste in Kürze
Die nachrichtenlosen Vermögen in der Schweiz, die vielen Holocaust-Opfern gehörten, waren lange ein heikles Thema. Die Schweizer Banken wollten sich erst nicht so richtig mit ihnen beschäftigen und wünschten sich, dass sie in Vergessenheit geraten würden. Die Schweiz machte es den Erben der Holocaust-Opfer sehr schwer, an das Vermögen heranzukommen. Doch als dann das internationale Ansehen der Schweiz sehr darunter litt, knickte sie ein und begann, ihre Geschichte aufzuarbeiten und Wiedergutmachungen einzuleiten.
Diese Zusammenfassung beantwortet Dir viele interessante Fragen, wie zum Beispiel:
Warum hatten so viele deutsche Jüd*innen ein Konto in der Schweiz?
Warum war es für die Angehörigen und Nachfahren der Holocaust-Opfer so schwer, an das Vermögen zu kommen?
Wie sah die Aufarbeitung und Wiedergutmachung der Schweiz aus?
Bankguthaben oder Wertpapiere, bei dem die Banken keinen Kundenkontakt mehr herstellen können, weil die Inhaber*innen verstorben sind und deren Erben nichts davon wissen oder sie sich nicht dafür interessieren.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten führte zur Entrechtung und Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland. Durch diese antijüdische Politik flossen auch einige Fluchtgelder aus Deutschland in die Schweiz. Ein Konto in der Schweiz war für viele sehr attraktiv, aus folgenden zwei Gründen:
Es gab ein Bankengeheimnis.
Kontoeröffnungen waren einfach und unbürokratisch. (In den 1930er-Jahren musste z.B. nur der Name angegeben werden.)
Unter diesen Schweizer Konten waren viele, die jüdischen Opfern des NS-Völkermords gehörten.
Erst als der Kalte Krieg 1989 endete, stieg das Interesse an den vermissten jüdischen Vermögen wieder an – besonders aus den ehemaligen Ostblockstaaten. Die Banken gingen damit größtenteils so um: Bei Anfragen mit ausreichenden Angaben wurde gegen Gebühr eine Recherche nach dem nachrichtenlosen Konto eingeleitet. Die Gebühr konnte aber bis zu mehrere Tausend Franken hoch sein.
Aber selbst wenn bei der Recherche Vermögenswerte entdeckt wurden, auf die die überlebenden Angehörigen Anspruch hatten, kam es oftmals wegen bürokratischen Regeln zu keiner Auszahlung. Ein Beispiel für so eine Regel ist, dass ein Totenschein des bzw. der Kontoeröffner*in vorgezeigt hätte werden müssen, den die Erben von Holocaust-Opfern natürlich nicht besassen.
Bis 1994 wollte man ausserdem keine zentral organisierte Meldestelle für nachrichtenlose Vermögen einrichten.
Info 2: Internationales Interesse an den nachrichtenlosen Vermögen
Durch einen Zeitungsartikel im Jahr 1995 wurde das Problem der nachrichtenlosen Vermögen öffentlich und war auch international von Interesse.
Ab den 1980ern wurde besonders in den USA öffentlich viel über Wiedergutmachungsmöglichkeiten von vergangenen, unrechtmässigen Taten staatlicher und nicht-staatlicher Einrichtungen diskutiert. Sowohl politische als rechtliche und wirtschaftliche Wiedergutmachung standen im Fokus. In den USA wurde dafür vor allem die Möglichkeit der Sammelklage genutzt.
Die nachrichtenlosen Vermögen in der Schweiz hatten nun also einen emotionalen und auch medialen Wert, den der Bundesrat und die Bankiervereinigung aber ignorierten. Ihnen wurde vorgeworfen, dass sie sich auf Kosten der Holocaust-Opfer bereichern würden. Ihre Reaktion darauf war sehr zögerlich. Die ungeschickten Handlungen und die einfältige Kommunikation von staatlichen und wirtschaftlichen Machthabern vergrösserten den aussenpolitischen Druck.
Der damalige Bundesrat Delamuraz nannte das Verlangen nach einer finanziellen Abgeltung der nachrichtenlosen Vermögen eine „Lösegeld-Erpressung“. Gleichzeitig kam aber heraus, dass die Schweizerische Bankgesellschaft Dokumente aus den 1920er und 1930er Jahren zerstört hatte.
Das machte die Schweiz für die anderen Länder zu einem Land, dass sich nicht mit seiner Geschichte auseinandersetzen und aus früheren Fehlern lernen wollte.
Vertiefung
Vorwürfe an die Schweiz und ihr Bild in der Öffentlichkeit
Die Schweiz wurde bereits zum Ende des Zweiten Weltkriegs als „Kriegsgewinnerin“ angesehen, die nichts zum Sieg der Alliierten beigetragen hat und stattdessen durch die wirtschaftliche Kooperation mit den Nationalsozialisten aus dem Krieg Profit geschlagen hat. Das Problem mit den nachrichtenlosen Vermögen verstärkte den Vorwurf zusätzlich. Der Vorwurf bezog sich vor allem auf folgende Punkte:
Bereicherungauf Kosten der Holocaust-Opfer und ihrer Nachkommen
Hehlerdienstefür Deutschland durch den Kauf von deutschem Raubgut
Kriegsverlängerungdurch das Wirtschaftsabkommen mit Deutschland
mörderische Flüchtlingspolitikdurch Ausweisung bzw. Zurückweisung tausender jüdischer Flüchtlinge
Die Schweiz versuchte hingegen, jegliche Kritik an den Handlungen und Entscheidungen der Schweiz im Zweiten Weltkrieg von sich zu weisen, was nach dem Krieg auch gut funktionierte. Bis zur weiteren Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg galt die Schweiz zumindest in der Öffentlichkeit als mutig und weitestgehend neutral. Nur durch ihre Armee und ihre bewaffnete Neutralität wären sie vom Krieg grösstenteils verschont geblieben und hätten sogar ganz selbstlos etliche Flüchtlinge aufgenommen.
Info 4: Einsicht und Wiedergutmachungsbestreben der Schweiz
Die Schweiz realisierte, dass sie bezüglich der nachrichtenlosen Vermögen und auch ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg nicht weiter an ihrer Strategie festhalten konnte, da sie sonst wichtige Bankgeschäfte mit den USA gefährden würde.
Deshalb wurde eine unabhängige Historikerkommission (UEK), auch „Bergier-Kommission“ genannt, gegründet. Diese beschäftigte sich ab 1997 mit bestimmten Gesichtspunkten der Schweizer Geschichte zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und veröffentlichten nach fünf Jahren ihre ersten Ergebnisse.
Im selben Jahr sollte auch ein Solidaritätsfond über sieben Milliarden Franken eingerichtet werden, der unter anderem den Opfern von Völkermorden helfen sollte. Dieser wurde 2002 aber infolge einer Volksabstimmung abgelehnt.
1996 bekam eine neu eingerichtete, unabhängige Kommission von der Schweizerischen Bankiersvereinigung die Aufgabe, alle nachrichtenlosen Vermögen bei sämtlichen betroffenen Banken ausfindig zu machen.
1997 legten einige Banken und die Nationalbank zusammen und richteten einen Fonds über 250 Millionen Euro zur Unterstützung von bedürftigen Holocaust-Überlebenden ein. In einem gerichtlichen Vergleich 1998 wurde den Klägern einer Sammelklage von 1996 1,25 Milliarden Dollar zugesprochen. So bekamen zumindest diese NS-Opfer bzw. ihre Erben (teilweise) ihr Vermögen zurück.
Mehr dazu
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Dauer:
Teil 1
Rolle der Schweiz im 2. Weltkrieg
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Teil 2
Nachrichtenlose Vermögen von NS-Opfern: Vorwürfe und Wiedergutmachung
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Warum hatten so viele jüdische Deutsche ein Konto in der Schweiz?
Ein Schweizer Konto war sehr attraktiv für die in Deutschland verfolgten Menschen. Dort konnten sie ihr Fluchtgeld ablegen, da es in der Schweiz ein Bankengeheimnis gab und die Kontoeröffnung unbürokratisch war - in den 1930ern reichte nur die Angabe des Namens.
Was war die Bergier-Kommission?
Die Bergier-Kommission beschäftigte sich ab 1997 mit der Schweizer Geschichte zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und veröffentlichten nach fünf Jahren ihre ersten Ergebnisse. Ihre Aufgabe war die Abklärung und Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg.
Warum war es für Angehörige oder Erben der Holocaust-Opfer so gut wie unmöglich, an ihr Vermögen zu kommen?
Selbst wenn die Angaben in der Anfrage genügten, um das entsprechende nachrichtenlose Konto ausfindig zu machen, gab es bürokratische Regeln, die die Auszahlung des Vermögens verhinderten. So war zum Beispiel die Vorlage des Totenscheins des Kontogründers bzw. der Kontogründerin nötig.