Das russische Zarenreich und die Revolutionen 1905–1917
Das Wichtigste in Kürze
Russland ist heute eine der wichtigsten politischen Grossmächte der Welt. Diesen Platz hat sich das Land über viele Jahrhunderte hinweg erschaffen. Besonders die Zeit des Zarenreichs war dafür entscheidend, als sich der Vielvölkerstaat langsam vom Bauernstaat zur Industrienation entwickelte.
Wie hat die Herrschaftsform des Zarismus den Beginn des Zarenreichs geprägt?
Wie hat sich die Wirtschaft und das Leben in Russland im 19. Jh. verändert?
Wie verliefen die drei Revolutionen zwischen 1905 und 1917 und was waren ihre Folgen?
Info 1: Das Zarenreich Russland um 1900
Die Geschichte Russland reicht lange zurück. Zuerst war das Kerngebiet vom Grossfürstentum Kiew beherrscht, dann von den Mongolen (auch Tataren genannt) und schliesslich als Grossfürstentum Moskau verwaltet. Diese Vorgeschichte schuf die Grundlage für eine Alleinherrschaft: die des russischen Zaren. Diese frühe Erfahrung der Alleinherrschaft prägte das Land stark.
ZARISMUS
Der Übergang vom Moskauer Reich zum Zarenreich Russland geschah durch die Krönung des ersten Zaren, Iwan IV., der auch „Iwan der Schreckliche“ genannt wurde. Gekrönt wurde er im Jahr 1547 durch den Metropoliten, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche.
Die Moskauer Grossfürsten hatten als Herrscher bereits zuvor eine starke Machtstellung. Mit dem Zarismus wurde diese jedoch noch verstärkt. Der Zar wurde als „von Gott gekrönt“ angesehen und war demnach an keine weltlichen Rechte gebunden. Ebenso war er niemandem Rechenschaft schuldig.
Seine Aufgabe bestand darin, das Zarenreich als christlich-orthodoxes Imperium zu vergrössern und zu stärken. Die zentrale Verwaltung durch eine autokratische Obrigkeit liess keinen Raum für andere Territorien. Denn diese könnten eine Konkurrenz für die Macht in Moskau darstellen. Damit sollte die Stabilität im Vielvölkerstaat erhalten werden.
Diese Machtfülle einer einzelnen Person war nur durch die Unterstützung der orthodoxen Kirche, eines riesigen Beamtenapparats und einer starken Armee mit Geheimpolizei möglich, die alle Untertanen ständig überwachte und bei Systemkritik hart bestrafte.
Vertiefung
Wirtschaft und Gesellschaft im Zarenreich Russland
Noch um 1900 waren in Russland ca. 80 % der Bevölkerung Teil der Bauernschaft. Bis zum Jahr 1861 waren ein Grossteil dieser Menschen sogar Leibeigene, die ohne Rechte und eigenen Besitz das Eigentum ihrer Herren waren und auf deren Gütern arbeiteten.
Nach der Abschaffung der Leibeigenschaft änderten sich zwar ihre Rechte, ihre Lebensumstände blieben aber beinahe gleich. Das Land, auf dem sie arbeiteten, gehörte immer noch dem Adel und sie durften ihr Dorf weiterhin nur mit Zustimmung der Gemeinde verlassen.
Die Arbeit war schwer und moderne Landmaschinen oder Dünger waren unbekannt. Der russische Adel hatte zwar bessere Lebensumstände, aber, anders als in Mittel- und Westeuropa, trotzdem keine politischen Mitbestimmungsrechte. Erst unter Peter dem Grossen (1689-1725) wurden Adlige zum Dienst als Beamte oder Soldaten verpflichtet.
Die Industrialisierung in Russland verlief nur langsam und regional sehr begrenzt. Auch die neue „Arbeiterschaft“ behielt ihre bäuerliche Lebensweise bei. Beim Grossteil der Bevölkerung handelte es sich um Analphabeten. Nur an den Universitäten im Westen des Zarenreichs entstanden langsam eine Gruppe junger, liberal-demokratischer Adliger („Intelligenzija“), die sich an modernen Ideen Westeuropas orientierten.
DAS ZARENREICH Russland ALS VIELVÖLKERSTAAT
Durch die ständige territoriale Erweiterung bestand das Zarenreich aus einer Vielzahl verschiedener Bevölkerungsgruppen und Kulturen. Schon früh wurden Finnen, Türken und Balten Teil des Reichs, später kamen Tataren, Litauer, Polen und Juden dazu. 1897 waren 55 % der Bevölkerung Nichtrussen. Aus diesem Grund gab es nur wenig nationales Selbstbewusstsein. Als nationales Bewusstsein verstand der Zar jedoch nicht ein gemeinsames Zusammengehörigkeitsgefühl als russisches Volk, sondern die Unterwerfung unter seine Herrschaft.
Kam es zur Rebellion von Volksgruppen, dann wurden diese hart bestraft und sofort niedergeschlagen. So auch der polnische Aufstand in den Jahren 1863 und 1864. Auch die katholische Kirche wurde bekämpft. Gleichzeitig wurde der russische Nationalismus, genannt Panslawismus, immer stärker. Seine Anhängerschaft war überzeugt, dass die Russen das bedeutendste slawische Volk wären und damit die Vorherrschaft über alle slawischen Völker haben sollten.
Info 2: Modernisierung des russischen Zarenreichs
Die Leibeigenschaft der Bauern und die folgende Mittellosigkeit der Landbevölkerung verhinderten lange Zeit einen Wirtschaftsaufschwung. Es war kein Geld verfügbar, das die Bevölkerung für Anschaffungen und Luxusgüter hätte nutzen können. Auch der Adel war der Modernisierung gegenüber sehr skeptisch, weil er Angst hatte, seine Vormachtstellung in der Gesellschaft zu verlieren. Die Industrialisierung um 1860 begann deswegen nur sehr langsam und nur in wenigen Gegenden des Zarenreiches.
Vertiefung
„Modernisierungsdiktatur“
Durch die fehlende Kaufkraft eines Bürgertums, wie es das in Westeuropa gab, konnte es zu keiner natürlichen Wirtschaftsentwicklung kommen. Der Staat handelte deshalb als „Modernisierungsdiktatur“. Dazu schuf er staatliche Betriebe, beteiligte sich an Unternehmen und verhängte hohe Zölle auf Importprodukte, um die eigene Wirtschaft anzukurbeln. Dafür war aber nur wenig Kapital vorhanden, weil die Staatsfinanzen zu knapp waren.
Die grössten Fortschritte gab es beim Eisenbahnbau, der schnell zum zentralen Bereich der Industrialisierung wurde. Damit sollte der Rückstand zu Westeuropa aufgeholt werden. Die Eisenbahn ermöglichte den Transport von Agrarwaren und Kohle sowie Eisenerz zu den Ausfuhrhäfen des Zarenreichs. Der Export ermöglichte wirtschaftliche Einnahmen für den Staat.
Die Lebensverhältnisse in den neuen Industriegebieten waren jedoch schrecklich. Erwachsene und Kinder arbeiteten täglich 13 Stunden ohne Pause für Hungerlöhne. Ausserdem konnten die Unterschiede zwischen Stadt und Land nicht überwunden werden. Das russische Zarenreich blieb weiterhin ein Bauernland. Dazu kamen Hungerkatastrophen in den Jahren 1891, 1892, 1897 und 1902, die schreckliche Auswirkungen auf die Bevölkerung hatten.
Info 3: Die Revolutionen 1905 - 1917
DIE KONSTITUTIONELLE REVOLUTION VON 1905
Aufgrund der Expansion nach Ostasien, die das Zarenreich um 1900 anstrebte, gab es Auseinandersetzungen mit Japan. Dies führte zum Russisch-Japanischen Krieg 1904/1905, den das Zarenreich überraschenderweise verlor. Dadurch sank das Ansehen des Zaren Nikolas II. und die schon zuvor vorhandenen Unzufriedenheiten kamen zum Vorschein.
Im Jahr 1905 forderten 200'000 Arbeiter in Protesten bessere Arbeitsbedingungen. Teilnehmende an den Demonstrationen wurde vom Zaren beschossen, weshalb vom „Petersburger Blutsonntag“ gesprochen wird. Die Bevölkerung reagierte darauf mit noch mehr Protesten und Streiks, bis es sogar zu einem landesweiten Eisenbahnstreik kam.
Dies veranlasste den Zaren dazu, dem Volk bürgerliche Freiheitsrechte, eine Verfassung und ein Parlament einzuräumen. Dieses Parlament namens „Duma“ war jedoch nur ein Scheinparlament: Die Abgeordneten durften ihre Meinung nicht frei äussern und der Zar musste jedem neuen Gesetz zustimmen. Ausserdem durfte ein Grossteil der Bevölkerung nicht mal an den Wahlen teilnehmen.
DIE BÜRGERLICHE REVOLUTION VON 1917
Die Armee des Zaren verlor im Verlauf des 1. Weltkriegs immer mehr Schlachten. Daraufhin musste auch die Bauern- und Arbeiterschaft an der Front kämpfen. Der Staat druckte mehr und mehr Geld, um sich den Krieg leisten zu können. Die Geldentwertung führte dazu, dass Lebensmittel und andere Waren teurer wurden, während die Löhne gleich blieben. Anfang des Jahres 1917 gab es in den Städten dann nicht mehr genug Nahrung und Brennholz. Die Menschen streikten, protestierten und forderten „Freiheit, Brot und Land“.
Die Duma zwang Zar Nikolaus II. im März 1917 zum Abdanken und rief eine „Provisorische Regierung“ aus. Das Land wurde damit offiziell zur Republik. Gleichzeitig entstanden während der Unruhen im Land aber Räte aus Soldat*innen, Arbeiter*innen und Angehörige der Bauernschaft. Diese Räte wurden „Sowjets“ genannt. Sie sprachen sich – im Gegensatz zur provisorischen Regierung – für ein schnelles Kriegsende aus. In der Hauptstadt Petrograd (heute St. Petersburg) kam es also zu einer Art „Doppelherrschaft“, die unterschiedliche Interessen und Ziele für das Land verfolgte.
DIE SOZIALISTISCHE REVOLUTION IM OKTOBER 1917
Im April kehrte der Revolutionsanführer Lenin aus dem Exil nach Petrograd zurück. Mit seinen „Aprilthesen“ forderte er die Abwendung von der provisorischen Regierung, die volle Übernahme der Macht durch die Sowjets, eine sofortige Beendigung des Kriegs, die Verstaatlichung der Industrie und eine „faire“ Aufteilung allen Besitzes an die ganze Bevölkerung.
Die Bevölkerung war von seinen Ideen begeistert und seine Partei, die „Bolschewiki“, wuchs enorm. Sie übernahm im Oktober 1917 in einem sogenannten „stillen Staatsstreich“ die Macht in Petrograd. Dabei kam es zu keinen Unruhen. Ebenso wenig änderte sich der Alltag der Bevölkerung. Es gab im Land aber immer noch demokratische Wahlen. Lenin und seine Partei schnitten im Dezember mit 25 % der Stimmen sehr schlecht ab. Daraufhin, im Januar, lösten die Bolschewiki die neu gewählte Versammlung gewaltsam auf. Das war der Tag, der in der neu gegründeten „Sowjetunion“ später als „glorreiche sozialistische Oktoberrevolution“ gefeiert wurde.
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Teil 1
Das russische Zarenreich und die Revolutionen 1905-1917
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie entstand das russische Zarentum?
Der Übergang vom Moskauer Reich zum russischen Zarenreich geschah durch die Krönung des ersten Zaren, Iwan IV, der auch „Iwan der Schreckliche“ genannt wurde. Gekrönt wurde er im Jahr 1547 durch den Metropoliten, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Der Zar wurde als „von Gott gekrönt“ angesehen. Er war an keine weltlichen Rechte gebunden und war niemandem Rechenschaft schuldig.
Was bedeutet Panslawismus?
Panslawismus ist der Ausdruck für den russischen Nationalismus, dessen Anhängerschaft überzeugt war, dass das russische Volk das bedeutendste slawische Volk sei und damit die Vorherrschaft über alle slawischen Völker haben sollte.
Was waren die drei russischen Revolutionen zwischen 1905 und 1917?
Zu den drei wichtigen Revolutionen des 20. Jahrhunderts in Russland gehörten die konstitutionelle Revolution von 1905, die bürgerliche Revolution von 1917 und die sozialistische Revolution von 1917.