Vorindustrielle Arbeits- und Lebenswelten: Ein Überblick
Das Wichtigste in Kürze
In den Jahrzehnten und Jahrhunderten, bevor die Industrialisierung in Europa einsetzte, lebten die Menschen der Landbevölkerung noch ein sehr einfaches und überschaubares Leben. Sie produzierten auf landwirtschaftlichen Höfen alles, was sie an Nahrung und Handwerk zum Leben brauchten. Die Familien haben als Grossfamilien mit mehreren Generationen zusammengelegt und auch die Kinder mussten mitarbeiten. Ihre Dörfer haben sie dabei zum Grossteil nie verlassen.
Wie sah der Alltag einer Bauernfamilie in der vorindustriellen Zeit aus?
Wie lebten die Kinder und was lernten sie in der Schule?
Wer konnte damals schon Reisen unternehmen, und wie sahen die aus?
Die Antworten auf diese Fragen und auf noch viele weitere findest Du in dieser Zusammenfassung!
Info 1: Ein kurzes und arbeitsames Leben in der Ständegesellschaft
Vor der Industrialisierung war das Leben noch von schwerer körperlicher Arbeit geprägt. Schliesslich gab es noch keine Maschinen, die dabei helfen konnten. Was aus der Landwirtschaft und dem Handwerk gewonnen werden konnte, reichte meist gerade so aus, um die täglichen Bedürfnisse zu decken.
Ausserdem mussten die Bauern und Bäuerinnen der Ständegesellschaft einen grossen Teil ihres Ertrags an ihre Grundherren abgeben, deren Land sie bewirtschafteten. Kam es dann zu Kriegen, Naturkatastrophen, Missernten und Seuchen, konnte man denen kaum etwas entgegenstellen.
Noch 1816/17 gab es in Europa eine grosse Hungersnot, die von einer Cholera- und Typhus-Epidemie begleitet wurde. Das lag auch daran, dass die medizinische Versorgung noch sehr schlecht war. Oft gab es nur umherziehende Heiler oder Dorfärzte, die mit mittelalterlichen Methoden behandelten. Deswegen war die Kindersterblichkeit in der vorindustriellen Zeit noch sehr hoch. Das Durchschnittsalter lag bei Männern nur bei 35 Jahren, bei Frauen bei 38 Jahren.
Definition Kindersterblichkeit
Dass es eine hohe Kindersterblichkeit gab, heisst, dass viele Kinder, die geboren wurden, schon in den ersten fünf Lebensjahren starben. Das lag an schlechter Ernährung und fehlender medizinischer Versorgung. Deswegen bekamen Familien auch oft sehr viele Kinder. Doch das Kinderkriegen war auch für die Frauen sehr gefährlich. Viele starben während oder nach einer Geburt.
Info 2: Landwirtschaft und Handwerk
Je nachdem, welches europäischem Land man betrachtet, arbeiteten vor der Industrialisierung noch circa 70 bis 90 % der Bevölkerung als Bäuerinnen und Bauern. Das taten sie meistens mit einfachen Geräten aus Holz und mit harter Arbeit.
Nur reiche Bauern konnten sich Metallwerkzeug oder Zugtiere leisten. Dementsprechend klein waren auch die bewirtschafteten Flächen- und die Erträge! Trotzdem schafften es die Menschen mit Ach und Krach, alles selbst herzustellen, was sie so brauchten: Sie haben aus eigenem Getreide Brot gebacken, Tiere geschlachtet, Fleisch geräuchert, Butter geschlagen, Gemüse und Obst für den Winter eingelegt, Seife hergestellt und Kerzen gegossen. Das alles war stark an den Jahreszeiten ausgerichtet. Der Arbeitstag begann mit Sonnenaufgang und endete mit Sonnenuntergang.
Handwerkliche Arbeit wurde oft in Heimarbeit erledigt. Das bedeutet, dass die Menschen der bäuerlichen Gesellschaft zu Hause alles selbst bauten, was sie brauchten.
In den städtischen Räumen gab es Zünfte, die das Handwerk regelten. Alle, die in der Stadt ein Handwerk ausführen wollten, mussten sich einer anschliessen (das nennt man „Zunftzwang“). Das waren Zusammenschlüsse von Handwerkern, mit klaren Regeln zur Preisgestaltung, der Rohstoffbesorgung, den Löhnen und den Produktionsmengen. Oft hatten diese Zünfte eine gemeinsame Kleidung und ein Wappen. Teil einer solchen Zunft durfte schon seit dem Mittelalter nur werden, wer die Ausbildung bei einem Zunftmitglied gemacht hatte. Der Zugang zum städtischen Handwerk war also stark beschränkt.
Info 3: Leben in der Familie
Ein Familienporträt hat in der vorindustriellen Zeit noch ganz anders ausgesehen, als wir das heute kennen. Statt Vater, Mutter und Kindern gehörten zur Familie nämlich auch die Grosseltern – und das Gesinde. Das waren die Knechte, Mägde und Tagelöhner. So eine Familienstruktur nannte man dann „das ganze Haus“, weil eben alle gemeinsam in einer grossen Haushaltsfamilie lebten.
Jede/r in der Familie hatte wichtige Aufgaben. Nur wenn jede/r sie erledigte, konnten alle versorgt werden. Man kümmerte sich auch in der Familie und im Dorf um Alte und Kranke. So etwas wie Altenheime und Krankenhäuser gab es damals nämlich noch nicht.
Info 4: Kindheit und Bildung
Die Familien damals hatten viele Kinder. Mehr als fünf oder sechs Geschwister zu haben, war in der vorindustriellen Zeit ganz normal! Und auch diese mussten mitarbeiten. Besonders bei der Ernte im Herbst war zusätzliche Arbeitskraft dringend benötigt.
Das war oft ein Problem. Denn viele Bauernfamilien und Gutsherren weigerten sich deswegen, die Kinder in die Dorfschule zu schicken. Die gab es aber auch nicht in jedem Dorf und unterrichtet wurde dort oft nur in einer einzelnen Klasse vom Dorflehrer. Vielmals fand der Unterricht dort auch nur im Winter statt, wenn es weniger Arbeit zu erledigen gab.
Neben Lesen, Schreiben und Rechnen sollten die Kinder vor allem lernen, gläubige und brave Untertanen zu werden. Die Religion und ihre Lehren stand im Mittelpunkt. Denn die Macht der Kirche, der Gutsherren und der Familienväter sollte auf keinen Fall infrage gestellt werden. Am Ende dieser kurzen Schulbildung konnten die meisten Menschen aber trotzdem noch nicht lesen und schreiben.
Vertiefung
Die preussische Bildungsreform
Ab dem Jahr 1807 bis 1811 gab es im preussischen Staat umfassende Reformen, weil das Land seinen Rückstand gegenüber Frankreich aufholen wollte. Dazu gehörte unter anderem die Bauernbefreiung, eine Heeres- und Verwaltungsreform – und eine Bildungsreform. Sie wurde vor allem von Wilhelm von Humboldt umgesetzt.
Damit bekam der Staat die gesamte Macht über alle Schulen und konnte bestimmen, was dort gelehrt wurde. Neben der Unterstufe gab es jetzt auch humanistische Gymnasien, und die Schulpflicht wurde viel strenger durchgesetzt. Davon profitierten aber wieder vor allem die jungen Menschen der Oberschicht. Sie sollten Latein und Altgriechisch lernen, um „moralisch und geistig“ gut ausgebildet zu sein.
Info 5: Reisen und Mobilität
Reisen und Urlaube, wie Du das heute kennst, gab es in der vorindustriellen Gesellschaft noch nicht. Die meisten Menschen haben ihr ganzes Leben lang das eigene Dorf nicht verlassen. Denn Reisen waren nur dem Adel und dem Bildungsbürgertum vorbehalten.
Ausserdem gab es natürlich Händler*innen, Soldaten im Kriegsdienst oder gläubige Pilger*innen, die aus beruflichen oder religiösen Gründen von Ort zu Ort zogen. Weiter gab es reisende Spielleute (wie Gaukler oder fahrende Theatergruppen), Musikanten, Bettler*innen, Heiler*innen und andere Berufe wie Messerschleifer*innen und Topfflicker*innen.
Das Herumreisen war aber sehr gefährlich. Die Strassen waren nicht befestigt, man musste weite Strecken zu Fuss oder mit Pferdewagen zurücklegen und es konnte jederzeit passieren, dass man überfallen und ausgeraubt wurde.
Vertiefung
Die Kavalierstour
Als „Kavalierstour“ bezeichnete man die Reise, die junge Adlige seit dem 16. Jahrhundert im Rahmen ihrer Ausbildung unternahmen. Sie sollten in „fernen“ Ländern (oft in Italien) fremde Kulturen und Sitten kennenlernen.
Diese Reisen dauerten oft sehr lange und kosteten viel Geld. Erst später, im 18. und 19. Jahrhundert, konnten auch reiche Bürger*innen solche Reisen unternehmen. Bald übernahmen Künstler*innen und Gelehrte diese Idee und bereisten die Welt, um Forschung zu betreiben.
Mehr dazu
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Dauer:
Teil 1
Vorindustrielle Arbeits- und Lebenswelten: Ein Überblick
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie sahen Reisen in der vorindustriellen Zeit aus?
Reisen war nur dem Adel und dem Bildungsbürgertum vorbehalten. Außerdem gab es natürlich Händler*innen, reisende Spielleute, Bettler*innen, Soldaten im Kriegsdienst oder gläubige Pilger*innen, die aus beruflichen oder religiösen Gründen von Ort zu Ort zogen.
Was war eine Kavalierstour?
Als „Kavalierstour“ bezeichnete man die Reise, die junge Adlige seit dem 16. Jahrhundert im Rahmen ihrer Ausbildung unternahmen. Sie sollten in „fernen“ Ländern (oft in Italien) fremde Kulturen und Sitten kennenlernen. Diese Reisen dauerten oft sehr lange und kosteten viel Geld.
Was bedeutet der Begriff „das ganze Haus“?
Zu einer Familie des vorindustriellen Zeitalters gehörten auch die Großeltern und das Gesinde. Das waren die Knechte, Mägde und Tagelöhner*innen. So eine Familienstruktur nannte man dann „das ganze Haus“, weil eben alle gemeinsam in einer großen Haushaltsfamilie lebten. Jede/r in der Familie hatte wichtige Aufgaben.