Die Dynamik der Volkswirtschaft: Wachstum und Konjunktur im Blickpunkt

Das Wichtigste in Kürze

Der Wohlstand einer Volkswirtschaft wird massgeblich vom langfristigen Wirtschaftswachstum beeinflusst. Das Wirtschaftswachstum setzt sich aus einem langfristigen Trend und kurzfristigen Schwankungen zusammen. Stell dir das Wirtschaftswachstum wie eine erfolgreiche Karriere vor. Langfristig wirst du erfolgreicher, aber kurzfristig hast du mal bessere und mal schlechtere Tage. Genauso geht es auch der Volkswirtschaft. Das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft wird begleitet durch kurzfristige Schwankungen des Bruttoinlandprodukts (BIP) (Konjunktur). In wirtschaftlichen Krisen (Rezessionen) leiden Unternehmen wie Gustavs Konditorei unter geringerer Nachfrage, was zu Entlassungen führt. Der Staat kann versuchen, diese Schwankungen aktiv auszugleichen, indem er beispielsweise mit dem Bau eines Fussballstadions dafür sorgt, dass Gustavs ehemalige Mitarbeiter nicht arbeitslos bleiben. In guten Phasen (Boom) bremst er wiederum die Nachfrage, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu verhindern. Dieses aktive Eingreifen wird diskretionäre Konjunkturpolitik genannt. Die diskretionäre Konjunkturpolitik wirkt jedoch zeitverzögert und ungenau, da es schwierig ist, den exakten Punkt auf der schwankenden Konjunkturkurve zu bestimmen. Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, gibt es automatische Stabilisatoren wie etwa die Arbeitslosenversicherung. Wie diese automatischen Stabilisatoren funktionieren, erfährst du in dieser Lektion. Zudem wirst du lernen, dass bei konjunkturpolitischen Massnahmen auch immer ein Augenmerk auf die Finanzierbarkeit zu richten ist. Als Kompass bewährt sich der alte Grundsatz «Spare in der Zeit, so hast du in der Not».

Langfristiges Wachstum als Rezept für den Wohlstand

Das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft (Trendwachstum) ergibt sich aus einer Produktionssteigerung pro Kopf. Diese führt über die Zeit zu einem Anstieg des Lebensstandards. Du kannst dir eine grössere Wohnung leisten, ohne dabei auf die Sommerferien im Tessin verzichten zu müssen. Doch wie entsteht eben dieses Wachstum?
Grundsätzlich gibt es zwei Quellen des Wachstums. Entweder werden mehr Arbeitsstunden geleistet oder die Produktivität pro Arbeitsstunde (Arbeitsproduktivität) steigt.
- Die Anzahl der Arbeitsstunden erhöht sich, wenn die Erwerbstätigen länger arbeiten oder wenn der Anteil der Erwerbstätigen in der Bevölkerung steigt.
- Die Produktivität pro Arbeitsstunde wird von den Faktoren Realkapital, Humankapital und der eingesetzten Technologie bestimmt.

Konjunktur – Das Auf und Ab der Wirtschaft

Die Konjunktur erklärt die kurzfristige Entwicklung des Bruttoinlandprodukts (BIP, vgl. Lektion 2) – im Gegensatz zum Trendwachstum, das die durchschnittliche, langfristige Entwicklung des BIP beschreibt.
Die konjunkturelle Entwicklung eines Landes hängt vor allem davon ab, wie viel die Menschen nachfragen, also wie viel der von einer Volkswirtschaft produzierten Güter effektiv gekauft werden.
Die Konjunktur kannst du dir demzufolge als Stimmungsschwankungen des BIP vorstellen. Sie sind kurzfristiger Natur.
Der Gesundheitszustand einer Volkswirtschaft lässt sich anhand der Beziehung zwischen der kurzfristigen BIP-Kurve (Konjunkturverlauf) und der langfristigen Trendlinie erkennen.
Im Konjunkturverlauf lassen sich drei zentrale Situationen unterscheiden:
- Zeitpunkt t1: Stell dir vor, die Konjunkturkurve und die Wachstumsgerade treffen sich (Punkt A). Das bedeutet, dass das tatsächliche BIP genau dem entspricht, was die Wirtschaft produzieren kann, wenn die Ressourcen ausgelastet sind. Die Wirtschaft ist weder überhitzt noch unausgelastet – sie ist konjunkturell ausgeglichen. Die Mitarbeiter in Gustavs Konditorei haben genug zu tun und die Backöfen werden gut genutzt.
- Versetze dich nun in die Situation zum Zeitpunkt t2. Hier liegt das reale BIP (Punkt B) über dem Produktionspotenzial, die Ressourcen werden überlastet. Mitarbeiter in Gustavs Konditorei leisten Überstunden und die Backöfen laufen rund um die Uhr. Die Wirtschaft ist in einem Boom, einer sehr guten Phase, die zu überhitzen droht.
- Zeitpunkt t3: Hier liegt das tatsächliche BIP deutlich unterhalb der Wachstumsgeraden (Punkt C). Die Produzenten nutzen nicht alle verfügbaren Ressourcen. Denke an steigende Arbeitslosigkeit oder Fabriken, die leer stehen. In dieser Situation wird von einer schlechten Konjunkturlage gesprochen, einer Rezession.

Konjunkturpolitik: Aktives Eingreifen in die Wirtschaftsachterbahn

Angenommen, es bahnt sich eine Rezession an. Die Leute werden sparsamer, weil sie sich für die schlechten Zeiten wappnen. Wie alle anderen Qualitätsprodukte werden Gustavs teure Spezialtorten weniger nachgefragt, und seine Mitarbeiter haben immer weniger zu tun. Er muss die ersten Entlassungen vornehmen.
Der Staat hat nun die Möglichkeit, die Arbeitslosigkeit aktiv zu bekämpfen und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wieder anzukurbeln (Nachfragestimulierung). So kann er zum Beispiel ein neues Fussballstadion bauen. Gustavs ehemalige Mitarbeiter finden hier eine Anstellung als Bauarbeiter oder später als Verkäufer an den Verpflegungsständen. Einen Teil ihrer Löhne verwenden sie wiederum für den Konsum. Dadurch wird die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöht und sogar Gustav kann später wieder mehr Leute anstellen.
Alternativ kann der Staat die Staatseinnahmen reduzieren, indem er die Steuern senkt. Durch Steuersenkungen haben die Leute mehr verfügbares Einkommen im Portemonnaie. Das zusätzliche verfügbare Einkommen können sie verstärkt für Konsumgüter wie Gustavs Spezialtorte ausgeben, d.h., es wird wiederum mehr nachgefragt und Gustav kann seine ehemaligen Mitarbeiter wieder beschäftigen.
Umgekehrt kann der Staat in einer Boom-Phase die Nachfrage bremsen, um eine Überhitzung der Volkswirtschaft zu vermeiden. So kann er beispielsweise die Steuern erhöhen. Durch die Steuererhöhungen wird das verfügbare Einkommen der Leute geschmälert. Dadurch geben die Leute weniger für Konsumgüter wie Gustavs Spezialtorte aus. Das heisst, es wird weniger nachgefragt und Gustavs Mitarbeiter müssen keine Überstunden mehr leisten.
Dieser Versuch, die konjunkturellen Schwankungen aktiv zu dämpfen, nennt man diskretionäre Konjunkturpolitik. Dabei wird über die Fiskalpolitik die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und somit der Konjunkturverlauf aktiv beeinflusst. In einer Rezession kann der Staat die Nachfrage durch erhöhte Staatsausgaben oder Steuersenkungen steigern (expansive Fiskalpolitik). Umgekehrt kann er in einer Boom-Phase durch Steuererhöhungen oder verminderte Staatsausgaben die Nachfrage drosseln (restriktive Fiskalpolitik).
Mit dieser aktiven Konjunkturpolitik werden also starke Konjunkturschwankungen aktiv ausgeglichen. Man spricht deshalb auch von antizyklischer Konjunkturpolitik.

Übersicht: Expansive Fiskalpolitik

Die Schattenseiten der aktiven Konjunkturpolitik und Alternativen

Aber genau dieses aktive antizyklische Handeln ist leichter gesagt als getan. Eine genaue Position auf der Konjunkturkurve zu bestimmen, gleicht in der Realität einem ungenauen Ratespiel.
Zudem wirkt die diskretionäre Konjunkturpolitik nicht unmittelbar, sondern zeitverzögert. Es kann sein, dass sich die Stimmungslage in der Wirtschaft bereits verändert hat, bevor z.B. eine fiskalpolitische Massnahme die Nachfrage erhöht. Eine schlecht getaktete Konjunkturpolitik könnte dann zu noch grösseren Schwankungen führen.
Ein weiteres Problem der aktiven Konjunktursteuerung besteht darin, dass Politiker diese zu ihrem eigenen Vorteil ausgestalten können. So kann Politikerin Paula Steuersenkungen oder zusätzliche Staatsausgaben auch als Wahlgeschenke einsetzen, um ihre eigenen Wiederwahlchancen zu erhöhen.
Alternativ kommen deshalb häufig automatische Stabilisatoren zum Zug. Sie passen sich an die Wirtschaftslage an und gleichen damit die Nachfrageschocks ohne aktiven Staatseingriff automatisch aus.
Ein Beispiel für einen automatischen Stabilisator stellt die Arbeitslosenversicherung dar. Bei Arbeitslosigkeit in einer Rezession steigen automatisch die Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung. Der Staat gewährt entlassenen Personen Zuschüsse. Durch die staatlichen Unterstützungsleistungen geht der Konsum der Arbeitslosen weniger stark zurück, d.h. die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wird stabilisiert. Umgekehrt werden in Boom-Zeiten die Kassen der Arbeitslosenversicherung aufgrund der höheren Lohnbeiträge wieder gefüllt.
Sowohl bei den diskretionären Massnahmen als auch bei den automatischen Stabilisatoren muss auch immer ein Augenmerk auf die Finanzierbarkeit gerichtet werden. Als Kompass bewährt sich der alte Grundsatz «Spare in der Zeit, so hast du in der Not.»

Quellenverzeichnis:

Brunetti, A. (2023). Volkswirtschaftslehre. Lehrmittel für die Sekundarstufe II und die Weiterbildung. 15. Auflage 2023. hep Verlag AG, Bern
Eisenhut, P. und Sturm, J.E. (2023). Aktuelle Volkswirtschaftslehre - Ausgabe 2022/2023. Somedia Production AG. Somedia Buchverlag, Ennenda 2022. Edition Rüegger

Glossar:

Konjunktur: Schwankungen des BIP um den langfristigen Wachstumstrend herum
Trendwachstum: Positive oder negative Entwicklung des BIP in der langen Frist