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Volkswirtschaft

Klassiker der Volkswirtschaftslehre

Schutz vor den Risiken des Lebens - Soziale Sicherheit und Sozialversicherungen

Erklärvideo

Zusammenfassung

Schutz vor den Risiken des Lebens - Soziale Sicherheit und Sozialversicherungen

Das Wichtigste in Kürze

Vom Arbeitslosengeld über den Spitalaufenthalt bis zur Rente deiner Grosseltern – das Netz der sozialen Sicherheit ist vielschichtig. Die soziale Sicherheit baut auf grundlegenden Institutionen wie einer medizinischen Grundversorgung und einem Rechtssystem auf. Basierend darauf bilden schliesslich die Sozialversicherungen das Kernstück der sozialen Sicherheit. Sie schützen die Bürger vor Risiken, indem sie bei Schicksalsschlägen finanzielle Leistungen gewährleisten. Diese Leistungen werden durch Versicherungsbeiträge finanziert.

Diese Lektion dreht sich um die soziale Sicherheit. Du lernst verschiedene Sozialversicherungen kennen, die die Versicherten vor unterschiedlichen Risiken schützen. Ebenfalls erfährst du, warum Versicherungen kollektiv organisiert sind und nicht jeder Einzelne für unvorhersehbare Notfälle selbst spart. Schliesslich begegnest du den Herausforderungen der Sozialversicherungen, die zu steigenden Kosten für die Allgemeinheit führen. So besteht für die Versicherten sowohl der Anreiz, möglichst viele Leistungen zu beziehen, als auch, sich riskanter zu verhalten – ein Phänomen, das als moralisches Risiko bekannt ist, weil sie die Kosten für ihr Handeln nicht vollständig tragen.

Abschliessend erhältst du einen Einblick in die grösste Sozialversicherung – die Altersvorsorge. Du wirst sehen, dass der Staat die Bürger zum Sparen verpflichtet, um finanziellen Schwierigkeiten im Alter vorzubeugen. Dabei lernst du zwei Verfahren zur Finanzierung der Altersvorsorge kennen. 


Soziale Sicherheit – ein engmaschiges Auffangnetz

  • Die soziale Sicherheit stellt einen wichtigen Aspekt einer Volkswirtschaft und Gesellschaft dar. Sie baut auf grundlegenden Institutionen wie dem Bildungs-, Gesundheits- oder dem Rechtssystem auf, die der gesamten Bevölkerung zur Verfügung stehen. Diese Institutionen gewährleisten dir beispielsweise den Zugang zu Bildung oder zu einer Behandlung im Spital. 
  • Basierend auf diesen Institutionen bieten die Sozialversicherungen den Bürgern Schutz vor Risiken, deren Auswirkungen sie nicht alleine bewältigen können. Die finanziellen Folgen eines individuellen Schicksalsschlags werden auf die Schultern der Allgemeinheit verteilt. Die Sozialversicherungen sichern die Bürger vor verschiedenen Lebensrisiken wie Krankheit, Unfall, Invalidität, Alter oder Arbeitslosigkeit ab. 
  • Die Sozialversicherungen sind obligatorisch und werden kollektiv finanziert. Die Finanzierung erfolgt mehrheitlich durch Versicherungsbeiträge auf dem Erwerbseinkommen oder durch Einheitsbeträge.
  • Bei Eintritt bestimmter Ereignisse haben alle Versicherten Anspruch auf spezifische Leistungen.
    • Angenommen, Gustav verliert seinen Arbeitsplatz als Bäcker. Die Arbeitslosenversicherung hilft Gustav nun, vorübergehend über die Runden zu kommen, indem sie ihm Arbeitslosengeld gewährt. So wird sein Einkommensverlust abgeschwächt.
    • Tom seinerseits kann aufgrund starker Rückenbeschwerden nicht länger als Maurer arbeiten – er ist invalide. In diesem Fall kommt die Invalidenversicherung zum Zug, die ihm hilft, die finanziellen Auswirkungen seiner Arbeitsunfähigkeit abzufedern.
  • Neben den Sozialversicherungen dient die Sozialhilfe als letztes, existenzsicherndes Auffangnetz der sozialen Sicherheit. Sie unterstützt nur Personen, die die Kriterien einer finanziellen Notlage erfüllen. Im Gegensatz zu Sozialversicherungen wird sie ausschliesslich vom Staat finanziert. 




Sozialversicherungen – individuell geschützt, kollektiv versichert 

  • Vielleicht fragst du dich, warum Sozialversicherungen kollektiv geregelt werden und du als vorsichtiger Mensch Beiträge an die Unfallversicherung zahlen musst, obwohl du das Geld lieber sparen würdest. Eine kollektive Regelung von Sozialversicherungen kann aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein. 
    • Oftmals fehlt den Bürgern die individuelle Voraussicht, Beiträge für Risiken wie Krankheit oder Unfall auf die Seite zu legen. Ebenso ist die Höhe dieser Beiträge schwierig einzuschätzen, da du nicht weisst, wie oft du zukünftig krank sein wirst. Deshalb haben Gesellschaften Sozialversicherungen für obligatorisch erklärt, damit bei Risikoeintritt automatisch alle abgesichert sind. 
    • Des Weiteren verhindert ein kollektiver Zwang Trittbrettfahren. Wären Sozialversicherungen freiwillig, könnten Personen darauf vertrauen, dass der Staat seinen Bürgern in Notlagen Hilfe gewährt, selbst wenn sie keine Beiträge zur Sozialversicherung geleistet haben.
    • Die kollektive Regelung stellt zudem sicher, dass sich Personen mit unterschiedlichen Risikoprofilen versichern, und verhindert damit negative Auslese. Negative Auslese tritt auf, wenn die Versicherten ihre Vorlieben besser kennen als die Versicherung und sich deshalb vor allem risikoreiche Kunden versichern lassen.
      • In einer freiwilligen Unfallversicherung würden sich vor allem Menschen versichern, die hohe Risiken eingehen, wie Fallschirmspringer oder Rennfahrer. Im Gegensatz dazu würden sich Menschen mit geringerem Risiko weniger oder gar nicht versichern wollen. Dadurch zieht die Versicherung genau diejenigen Kunden an, die hohe Kosten verursachen. Folglich müsste sie die Versicherungsbeiträge erhöhen, was wiederum weniger risikofreudige Versicherte vertreibt. Die Versicherung erhält nicht genügend Beiträge, um alle Risiken abzudecken.
  • Gleichzeitig ermöglichen kollektiv geregelte Sozialversicherungen Einkommensumverteilung, indem Ärmere kleinere Beiträge zahlen als Wohlhabendere. Somit sind auch ärmere Personen versichert und vor finanziellen Risiken geschützt. 
    • Tritt Geringverdiener Tom in den Ruhestand, erhält auch er eine Mindestrente, obwohl er stets nur geringe Beiträge in die Altersvorsorge einbezahlt hat. 
    • Umgekehrt erhält Jeanne nicht mehr als die gedeckelte Maximalrente, obwohl sie als Gutverdienerin über Jahre viel mehr als andere in die Altersvorsorge eingezahlt hat.



Die Lasten des sozialen Sicherheitsnetzes

  • Du siehst: Sozialversicherungen sind obligatorisch, und die Allgemeinheit trägt deren Kosten. Doch wie beeinflusst dies dein alltägliches Verhalten und das aller anderen Versicherten? 
  • Erstens neigen Versicherte zu riskanterem Verhalten, da sie die Kosten für ihr Handeln nicht vollständig tragen müssen (moralisches Risiko). 
    • Ist Risikosportler Phillipp unfallversichert, kann er die Kosten eines Unfalls auf die Versicherung abwälzen. Er wird sich daher nach Abschluss der Versicherung weniger vorsichtig verhalten. 
  • Zweitens fehlen den Akteuren Anreize, die Versicherungskosten tiefzuhalten. Weil das Einzelverhalten auf die Beitragshöhe nur einen kleinen Einfluss hat, ist es attraktiv, möglichst viele Leistungen von der Versicherung zu beziehen.
    • Krankenversicherte fragen Gesundheitsleistungen übermässig nach, weil sie für den Arztbesuch nicht direkt zahlen müssen. Gleichzeitig haben Ärzte keinen Anreiz, teure Behandlungen sparsam anzubieten, da die Versicherung die Kosten trägt. 
  • Des Weiteren wird die Kostenstruktur der Versicherungen ebenfalls von gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst: 
    • Zum Beispiel drohen durch die Alterung der Bevölkerung Finanzierungslücken in der Altersvorsorge.
    • Oder die Gesundheitskosten drohen aufgrund falscher Anreize zu explodieren.




Einblick in die grösste Sozialversicherung – die Altersvorsorge

  • Die Altersvorsorge ist ein zentrales Element der sozialen Sicherheit. Sie adressiert ein Risiko, das letztlich irgendwann alle Menschen betrifft: den Erwerbsausfall durch die Pensionierung. 
  • Treten Erwerbstätige in den Ruhestand, erzielen sie kein Einkommen mehr. Dieser Verlust des Erwerbseinkommens bedeutet ein finanzielles Risiko. Gegen dieses Altersrisiko soll die Altersvorsorge absichern. Ihr Ziel ist es, dass Rentner nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten und ihren gewohnten Lebensstandard beibehalten können.
  • Die Altersvorsorge wird nach zwei Verfahren finanziert: 
  1. Im Umlageverfahren zahlen die heutigen Erwerbstätigen mit ihren Beiträgen die unmittelbaren Leistungen der heutigen Rentner. Lehrerin Rahel zahlt jeden Monat Beiträge in die Altersvorsorge ein, die ihrer pensionierten Grossmutter zukommen.
  2. Im Kapitaldeckungsverfahren spart jeder Erwerbstätige für sich Beiträge auf einem Konto an. Diese Beiträge werden am Kapitalmarkt angelegt und mit Zins ausgezahlt, wenn der Erwerbstätige das Rentenalter erreicht. 
  • Beide Finanzierungsverfahren sind nicht frei von Nachteilen. Das Umlageverfahren beruht darauf, dass die heutigen Erwerbstätigen die heutigen Rentner finanzieren. Da die Zahl älterer Menschen wächst und gleichzeitig weniger Kinder geboren werden (Alterung der Gesellschaft), müssen immer weniger Erwerbstätige eine wachsende Anzahl von Rentnern finanzieren. 
  • Das sinkende Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern betrifft das Kapitaldeckungsverfahren nicht, da alle Bürger für ihre eigene Altersrente sparen. Jedoch sind die angelegten Beiträge nicht vor Kursschwankungen auf den Kapitalmärkten gefeit (Anlagerisiko).
  • Du weisst nun, dass Sozialversicherungen ein engmaschiges Netz darstellen, das vor Lebensrisiken schützt und so stabilisierend auf eine Gesellschaft wirkt. Gleichzeitig verhalten sich Bürger weniger vorsichtig, im Wissen darum, versichert zu sein. Ebenso belasten gesellschaftliche Veränderungen wie die Alterung der Bevölkerung die Finanzen der Sozialversicherungen. Die Bewältigung dieser Herausforderungen ist und bleibt zentral, um die soziale Sicherheit auch langfristig zu gewährleisten. 



Quellenverzeichnis:

  • Blankart, C. B. (2017) Öffentliche Finanzen in der Demokratie – 9. Auflage 2017. München: Verlag Franz Vahlen.
  • Brunetti, A. (2023). Volkswirtschaftslehre. Lehrmittel für die Sekundarstufe II und die Weiterbildung. 15. Auflage 2023. hep Verlag AG, Bern.
  • Eisenhut, P. und Sturm, J.E. (2023). Aktuelle Volkswirtschaftslehre - Ausgabe 2022/2023. Somedia Production AG. Somedia Buchverlag, Ennenda 2022. Edition Rüegger.
  • Frey, B., Feld, L., Häner, M., Schaltegger, C.A., & Kirchgässner, G. (2023), Demokratische Wirtschaftspolitik: Theorie und Anwendung, 4. Auflage. München: Franz Vahlen.


Glossar: 

  • Umlageverfahren: Beiträge der heutigen Erwerbstätigen kommen den heutigen Rentnern zugute. 
  • Kapitaldeckungsverfahren: Jeder Erwerbstätige sammelt Kapital auf einem individuellen Konto an, welches ihm später mit Zins ausgezahlt wird.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was ist das Umlageverfahren?

Was ist das Kapitaldeckungsverfahren?

Wie werden Sozialversicherungen finanziert?