Staatsaufgaben und die Dynamik der Staatsausgaben

Das Wichtigste in Kürze

Der Staat ist an zahlreichen Fronten aktiv. Er kümmert sich um den Bau von Strassen, die Altersvorsorge oder die Vergabe von Hilfskrediten in Krisen. Dabei bilden die Aufgaben des Staates einen Dreiklang: Allokation, Distribution und Stabilisierung. Der Staat sorgt dafür, dass die Märkte reibungslos funktionieren (Allokation), er verteilt Einkommen um (Distribution) und gewährleistet die gesamtwirtschaftliche Stabilität (Stabilisierung). Die Umsetzung dieser Aufgaben muss finanziert werden – es entstehen Staatsausgaben.

In dieser Lektion werden die Ausgaben des Staates detailliert beleuchtet. Du lernst, wie die Staatsaktivität mittels Staatsquote – dem Verhältnis von Staatsausgaben zu Bruttoinlandsprodukt (BIP) – gemessen werden kann. Du wirst sehen, dass die Staatsausgaben in vielen Ländern in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen sind, und erfahren, weshalb es zu diesem Anstieg kam. So führen beispielsweise gesellschaftliche Veränderungen wie die Alterung der Bevölkerung zu höheren Ausgaben in der Altersvorsorge und Gesundheitsversorgung. Ebenso können politische Akteure Staatsausgaben im Interesse bestimmter Gruppen tätigen, um ihre Wiederwahlchancen zu erhöhen.

Zum Abschluss lernst du zwei Institutionen kennen, die die Ausgabenpolitik des Staates lenken und begrenzen. Zum einen verhindern politische Mitbestimmungsrechte, dass der Nutzen der Staatsausgaben nur bestimmten Gruppen zugutekommt. In Form von Initiativen und Referenden können Bürger aktiv mitentscheiden, welche Ausgaben der Staat tätigt. Zum anderen wirken Fiskalregeln übermässigen Ausgaben entgegen.

Staatsaktivität – Der Staat tritt in Aktion

• Staatsausgaben entstehen, wenn der Staat öffentliche Aufgaben finanziert. Doch wann genau wird der Staat aktiv?
• Grundsätzlich kommt dem Staat ein Dreiklang an Aufgaben zu: die Gewährleistung effizienter Güterzuteilung (Allokation), die Einkommensumverteilung (Distribution) und die Stabilisierung der Konjunktur.
• Du hast bereits in Lektion 3 gelernt, dass Preise darüber entscheiden, wie viel von einem Gut verkauft und gekauft wird. Preise koordinieren die Handlungen der Wirtschaftsakteure und steuern die Güterzuteilung. Wirkt der Preismechanismus nicht (etwa bei öffentlichen Gütern oder Monopolen), greift der Staat ein, um die Güter selbst bereitzustellen oder Wettbewerb zu gewährleisten (Allokation).
  • Zum Beispiel übernimmt der Staat die Bereitstellung öffentlicher Güter wie die Landesverteidigung, von der alle Bürger profitieren. Private Anbieter haben keinen Anreiz, die Landesverteidigung sicherzustellen, da auch Personen davon profitieren würden, die nicht dafür bezahlt haben. Deshalb ist es sinnvoll, wenn der Staat diese Aufgabe übernimmt – dabei entstehen Ausgaben.
• Umverteilungsmassnahmen zielen darauf ab, die am Markt entstandene Einkommensverteilung zu beeinflussen oder nachträglich zu korrigieren (Distribution). 
  • Beispielsweise hilft die Sozialhilfe bedürftigen Personen, die nicht genügend Einkommen erzielen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Staatliche Zahlungen wie die Sozialhilfe bedeuten Ausgaben für den Staat.
• Die dritte Kernaufgabe des Staates besteht in der Stabilisierung der Konjunktur. Auch hier entstehen Staatsausgaben. Wie der Staat die Konjunktur stabilisiert, hast du bereits in Lektion 4 gelernt.
  • Während der Covid-19-Krise wurde den Unternehmen beispielsweise finanzielle Unterstützung geboten, um Kurzarbeit zu ermöglichen und damit Entlassungen zu vermeiden.

Staatsquote: Der Gradmesser staatlicher Intervention

• Um die Aktivität eines Staates zu messen, wird häufig die Staatsquote verwendet. Diese misst das Verhältnis von Staatsausgaben zur Wirtschaftsleistung, dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Höhere Staatsausgaben bei gleichbleibender Wirtschaftsleistung führen folglich zu einer höheren Staatsquote. 
  • Im Staat A betragen die Staatsausgaben 50 Milliarden Dollar bei einem BIP von 100 Milliarden Dollar. Daraus ergibt sich eine Staatsquote von 50%.
• Staatsquoten sind international nur bedingt miteinander vergleichbar, da Staaten unterschiedliche Leistungen bereitstellen.
  • So beteiligt sich beispielsweise in Deutschland der Staat stärker an der Finanzierung bestimmter Leistungen wie der obligatorischen Krankenversicherung und Altersvorsorge als in der Schweiz. Damit weist Deutschland eine höhere Staatsquote auf als die Schweiz.
    
    

                        $$Staatsquote = \frac{Staatsausgaben}{Bruttoinlandprodukt}$$​​

Treiber von steigenden Staatsquoten

• Eine allgemeingültige, optimale Höhe der Staatsquote gibt es nicht. Doch ein Blick in die Statistiken offenbart: Die Staatsquoten sind in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern stark angestiegen und bewegen sich um die 50 Prozent oder darüber. Wie lässt sich dieses Staatswachstum erklären?
• Erstens beeinflussen gesellschaftliche Veränderungen wie die Alterung der Bevölkerung oder sich ändernde Bedürfnisse der Bürger die Aufgaben des Staates und die damit verbundenen Ausgaben.
  • Die wachsende Zahl älterer Menschen erhöht die Nachfrage nach Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen wie Rentenzahlungen. Dies führt zu steigenden Staatsausgaben im Gesundheits- und Sozialbereich.
• Zweitens können Krisen dazu führen, dass der Staat neue Ausgaben tätigt. Nachdem die Krise vorbei ist, bleibt in der Regel ein Teil dieser Ausgaben bestehen, da sich die Bürger an sie gewöhnt haben. Dieser Gewöhnungseffekt an Staatsausgaben trägt dazu bei, dass die Staatsausgaben nach Ende der Krise nicht auf Vorkrisenniveau zurückgehen. 
• Drittens erklären auch die steigenden Löhne im Staatssektor die wachsenden Ausgaben. Im Gegensatz zum privaten Sektor, wo technologischer Fortschritt die Effizienz steigert und höhere Löhne ermöglicht, sind die Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung im öffentlichen Sektor begrenzt.
  • Konditor Gustav kann durch den Einsatz modernerer Backöfen seine Tortenproduktion erhöhen. Die Produktivität steigt und er kann seinen Mitarbeitern höhere Löhne zahlen. Demgegenüber ist eine Produktivitätssteigerung für Lehrerin Rahel nur sehr begrenzt möglich, da sie bloss eine bestimmte Anzahl Schüler unterrichten kann. Rahels Gehalt sollte jedoch mit den Bäckerlöhnen Schritt halten, damit sie weiterhin ihren Beruf als Lehrerin ausübt. Deshalb steigen die Lehrerlöhne im Gleichschritt mit den Bäckerslöhnen. Dies bedeutet steigende Staatsausgaben.
• Diese Faktoren allein reichen jedoch nicht aus, um das gesamte Wachstum der Staatsausgaben zu erklären. Dieses ist teilweise durch den politischen Prozess getrieben: 
  • Im politischen Prozess setzen sich Politiker für die Tätigung bestimmter Staatsausgaben ein, die ihre eigenen Interessen begünstigen.
    • Politiker Paul ist Landwirt und hat ein grosses persönliches Interesse an der Förderung der Landwirtschaft. Daher setzt er sich dafür ein, dass der Staat Subventionen für landwirtschaftliche Betriebe bereitstellt, anstatt die Kosten für den Ausbau seines eigenen Betriebs selbst zu tragen. 
  • Ein weiteres Motiv der Politiker für die Tätigung von Staatsausgaben ist die Sicherung ihrer Wiederwahl.
    • Politikerin Paula erkennt, dass sie für ihre Wiederwahl entscheidende Stimmen aus Theaterkreisen benötigt. Daher setzt sie sich für die Interessen dieser Wählergruppe vor der Wahl ein und strebt die Sanierung des in die Jahre gekommenen Stadttheaters an.
  • Politische Akteure können ihre Pläne durch Stimmentausch realisieren – sie unterstützen gegenseitig ihre Vorhaben, um gezielt staatliche Leistungen zu erhalten.
    • Paul unterstützt Paulas Theatersanierung und sie im Gegenzug die Subventionierung der Landwirtschaft. So können beide ihre Vorhaben im politischen Prozess durchsetzen, obwohl keines der beiden Projekte für sich allein mehrheitsfähig wäre. Durch ihren Stimmentausch wird sowohl die Landwirtschaft subventioniert als auch das Theater saniert. Dadurch schnellen die Staatsausgaben in die Höhe.
  • Das Problem ist, dass der Nutzen der Staatsausgaben nur bestimmten Gruppen zugutekommt (in unserem Beispiel der Landwirtschaft und den Theaterkreisen), während die Kosten vom Staat und damit von der Allgemeinheit getragen werden. Die Allgemeinheit jedoch hat keine Interessenvertretung. Dies führt dazu, dass das staatliche Budget systematisch übernutzt wird (Übernutzung der fiskalischen Allmende). 

Leitplanken zur Tätigung von Staatsausgaben

• Wie lässt sich eine Übernutzung der fiskalischen Allmende verhindern? Hierfür gibt es unterschiedliche Rezepte.
  • Durch politische Mitbestimmungsrechte können Bürger aktiv mitentscheiden, welche Ausgaben der Staat tätigt. Direktdemokratische Instrumente wie Initiativen und Referenden stärken die Kontrollmöglichkeiten der Bürger. Sie ermöglichen es, die Staatsausgaben zu begrenzen.
    • Ein Theater wird beispielsweise nur dann saniert, wenn eine Mehrheit der Wählerschaft diese Ausgaben in einer Volksabstimmung unterstützt. 
  • Ausserdem treffen Politiker wie Paul und Paula ihre Entscheidungen von Anfang an stärker im Interesse der Bürger, da sie sich bewusst sind, dass diese jederzeit politisch eingreifen können.
  • Neben Mitbestimmungsrechten dienen Fiskalregeln wie die Schuldenbremse, die du aus Lektion 9 kennst, dazu, die Staatsausgaben zu begrenzen und damit das staatliche Budget einzuhalten.
    • Die Schuldenbremse definiert den Umgang mit Defiziten und begrenzt damit den finanziellen Spielraum der Politiker.
• Du weisst nun, dass der Staat Ausgaben tätigt, um verschiedene Kernaufgaben zu erfüllen. Es gibt jedoch keine universelle Formel, die bestimmt, wie hoch die Ausgaben zur Erfüllung dieser Aufgaben sein sollten. Zugleich gilt: je effizienter der Staat arbeitet, umso besser ist dies für die Steuerzahler. Entscheidend ist dabei, dass die Staatsausgaben stets dem demokratischen Willen der Bürger entsprechen. Darum braucht es Leitplanken, die politische Akteure daran hindern, ihre eigenen Vorhaben durch den Staat finanzieren zu lassen.
  
  
  

Quellenverzeichnis:

• Baumol, W. J. (1967). Macroeconomics of Unbalanced Growth: The Anatomy of Urban Crisis, American Economic Review, Vol. 57, S. 415–426.
• Blankart, C. B. (2017) Öffentliche Finanzen in der Demokratie – 9. Auflage 2017. München: Verlag Franz Vahlen.
• Brändle, T. und Bruchez, P-A. (2016). Institutionelle Vorkehrungen helfen bei wachsender Staatsverschuldung. Die Volkswirtschaft, 12/2016.
• Frey, B., Feld, L., Häner, M., Schaltegger, C.A., & Kirchgässner, G. (2023), Demokratische Wirtschaftspolitik: Theorie und Anwendung, 4. Auflage. München: Franz Vahlen.
• Musgrave, R.A. (1959). The Theory of Public Finance. New York: McGraw-Hill.
• Peacock, A. T. & Wiseman, J. (1962). The Growth of Public Expenditure in the United Kingdom. The Journal Of Finance, 17(3), 569.
• Tullock, G. (1959). Problems of Majority Voting, Journal of Political Economy, Vol. 67. S. 571–579.

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Glossar: 

• Staatsquote: Misst den Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP).
• Stimmentausch: Politische Akteure unterstützen sich gegenseitig zum eigenen Vorteil, damit ihr Vorhaben eine Mehrheit erreicht.