Das Vokabellernen ist für viele Schüler*innen zum Problem geworden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass unser Gedächtnis durch die
Digitalisierung sozusagen nach aussen verlagert worden ist: Wir besitzen ein Handy, welches unser Gedächtnis bis zu einem gewissen Grad ersetzt – und dabei gewissermassen externe Festplatte fungiert. Telefonnummern, Adressen, Termine und das Einmaleins muss man heute nicht mehr auswendig lernen, denn das Handy ist immer und überall dabei, sodass man die Informationen nicht mehr ins Gedächtnis rufen muss. [1]
Bei all den Vorteilen, die dieser Umstand hat – es gibt auch Nachteile: Durch das Handy haben wir das
Auswendiglernen verlernt. Zunächst ist dies für das Vokabellernen ein grosses Problem; viele Schüler*innen sind kaum mehr fähig, Vokabeln und ihre Bedeutung im Gedächtnis zu behalten. Und nicht nur für das Vokabellernen ist dies ein Problem: Denn wer Vokabeln nicht lernen kann – verpasst auch in anderen Bereichen vieles.
Für diejenigen, die Probleme mit dem Vokabellernen haben, sind die Ausführungen dienlich – es geht nämlich einerseits um den
Nutzen von, andererseits um
Arten des Vokabellernens.
Was nützt das Vokabellernen?
In erster Linie dient das Vokabellernen dem
Spracherwerb. Wer eine neue Sprache lernt, muss nicht nur die Grammatik kennen, sondern auch den Wortschatz ausweiten, sonst beherrscht man die zu erlernende Sprache nämlich nicht. Das Vokabellernen stellt einen wesentlichen Teil des Spracherwerbs dar und ist unausweichlich (mehr dazu findest du im Artikel
Tipps zum Sprachenlernen).
In zweiter Linie fördert das Auswendiglernen von Vokabeln das
Gedächtnis. Indem Vokabeln gelernt werden, können
Vernetzungen stattfinden. Diese Vernetzungen sind notwendig, um überhaupt denken zu können, denn Denken besteht im Kern aus der Verbindungen von Informationen. Ohne diese Verbindungen würde man wohl bloss einzelne, separate und daher sinnlose Aussagen machen.
Wenn Du für die Schule Vokabeln lernen musst, oder dich auf ein Sprachdiplom oder -zertifikat vorbereitest, dann könnte der Artikel
Sprachdiplome – ein Überblick hilfreich sein.
Drei Arten von Wortschatz
Im Weiteren fördert das Auswendiglernen von Vokabeln drei verschiedene Sprachkompetenzen – oder anders gesagt: Drei Arten des Wortschatzes.
- Durch das Auswendiglernen von Vokabeln wird der rezeptive oder auch passive Wortschatz gefördert, das sind die Wörter, die man versteht, aber nicht verwendet. Zum Beispiel wird ein 6. Klässler die Wörter subjektiv und objektiv verstehen, wenn man es ihm erklärt, doch er würde sie nicht aktiv in seinem Alltag verwenden.
- Durch das Auswendiglernen von Vokabeln wird auch der produktive oder aktive Wortschatz gefördert, d. h. das Vokabular, das man selbst anwenden kann. Es ist natürlich, dass der aktive Wortschatz kleiner ist als der passive. Durch das Vokabellernen weitet man den aktiven Wortschatz aus.
- Durch das Auswendiglernen von Vokabeln wird zudem der potenzielle Wortschatz gefördert, was bedeutet, dass man mehr Wörter verstehen und eventuell auch anwenden kann, indem man sie ableitet. Bspw. versteht jemand, der schon etwas Englisch kann, das französische forêt, da Wald auf Englisch forest heisst.
Semantisches Gedächtnis
Die beiden letzteren Beispiele haben gezeigt, dass beim Sprachenlernen im Allgemeinen und beim Erlernen vom Wortschatz im Speziellen stets Prozesse der Verknüpfung stattfinden. Dies hat damit zu tun, dass der gelernte Wortschatz im
semantischen Gedächtnis abgespeichert wird – in diesem werden die gespeicherten Informationen mit bereits gespeicherten Informationen verknüpft. So entsteht ein riesiges Netzwerk von abgespeichertem Wissen. Je mehr Verknüpfungen vorhanden sind, desto grösser ist die Gedächtnisstärke! Das semantische Gedächtnis ist übrigens auch für die
Interpretation und die
Organisation unseres Fakten- und Weltwissens verantwortlich. [2] Dieses Hintergrundwissen zur Struktur unseres Gedächtnisses bekräftigt die Relevanz des Vokabellernens.
Worauf soll man beim Vokabellernen besonders achten?
Um Erfolge beim Vokabellernen zu erzielen, ist es wichtig, nachhaltig zu lernen. Vokabeln soll man nicht einfach für eine Prüfung lernen und dann gleich wieder aus dem Gedächtnis löschen. Wie wir im oberen Abschnitt gesehen haben, geht es beim Vokabellernen nicht nur darum, eine Sprache zu beherrschen, sondern auch um die Ausweitung der Gedächtnisstärke und das Vermögen, Informationen zu verknüpfen.
Nachhaltigkeit beim Lernen bedeutet, dem schnellen Vergessen entgegenzuwirken, dem das menschliche Gedächtnis leider ausgeliefert ist. Schau dir dazu folgende Grafik genau an. Es handelt sich um die Vergessenskurve nach Ebbinghaus [3], einem deutschen Psychologen:
Quelle: Vergessenskurve nach Ebbinghaus
Diese Grafik zeigt, dass man leider sehr schnell vergisst. Die Grafik weist aber auch darauf hin, dass dem entgegengesteuert werden kann, indem man das Vokabular (oder sonst etwas, das man auswendig wissen soll)
regelmässig wiederholt! Nachhaltig lernen heisst also regelmässig lernen. In der Grafik ist zu erkennen, dass man schon mit drei Wiederholungen viel langsamer vergisst und dazu noch weniger vom erworbenen Wissen vergisst.
Wie kannst du Vokabeln auf unterschiedliche Arten lernen?
Um die Nachhaltigkeit beim zu lernenden Wortschatz zu sichern, gibt es neben der Regelmässigkeit und Wiederholung weitere, unterschiedliche Methoden.
Man kann mit Vokabeln beispielsweise
Wortfamilien (z. B. aimer, l’amant, aimable) und
Wortfelder (z. B. aimer, mari, femme, divorcer, mariage) bilden. Somit werden die Wörter kontextualisiert, wodurch du die Vokabeln besser nach Thema einordnen kannst. Ausserdem fällt dir dadurch die Vernetzung der Wörter leichter.
Eine andere Methode ist die
visuelle Dimension. Wenn man sich zu den Wörtern ein Bild macht, kann man sich das Konzept davon besser merken und so auch die Bedeutung, die jeweils zu einem Wort passt. Vielleicht stellt man sich beim Wort
arbre einen Baum vor? Oder etwas Grünes, welches neben der Wiese steht?
Auch die
sensorische Assoziation eine hilfreiche Vorgehensweise. Die Sinne sollen miteinbezogen werden, damit das semantische Gedächtnis mit dem perzeptuellen verknüpft wird. Hören, Sehen, Fühlen, Riechen und Schmecken spielen hier eine Rolle. Womöglich lernt man Mengenangaben auf Französisch, indem man einen Kuchen nach einem französischen Rezept backt?
Die letzte Methode, dir Vokabeln besser zu merken, ist die
emotionale und persönliche Assoziation. Damit ist gemeint, dass man sich Eselsbrücken machen soll. Diese sind oft an persönliche Erfahrungen und Erlebnisse gebunden, was die Konnotation mit dem zu lernenden Wort beeinflusst.
Im Artikel
Methoden zum Auswendiglernen von Wörtern findest Du weitere Tipps, wie man Wörter lernt!
Also – Angst vor dem Vokabbellernen muss niemand haben! Das Vokabellernen ist zwar anstrengend, aber auch befriedigend: Gibt es eine grössere Freude als die, die man nach einer grösseren Anstrengung erhält?
Quellen
[1]
Vergessenskurve nach Ebbinghaus
[2]
Jaffard, Robert: De l'intérêt de mémoriser, In: Pour la science, Cerveau et psycho 28, 2008.
[3] Jäncke, Lutz: Die Neurobiologie des menschlichen Lernens, In: Bachmann, Heinz: Kompetenzorientierte Hochschullehre (E-Book): Die Notwendigkeit von Kohärenz zwischen Lernzielen, Prüfungsformen und Lehr-Lern-Methoden, 2018.